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(Rede-Manuskript)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
bei E. T. A. Hoffmann in dem Märchen „DER GOLDENE TOPF“
widerfährt dem Studenten Anselmus – hier in Dresden –
so manches Missgeschick:
Beim Abschreiben alter Manuskripte
(wodurch er versuchte, sein Studium zu finanzieren)
fiel ein Tintenklecks auf das rätselhafte Original;
und das geschah in einem Raum,
den wir uns als exotischen Garten vorstellen können,
mit Palmen, statt Säulen,
ein wenig wie in der Nikolai-Kirche in Leipzig.
Die Tinte machte also einen Klecks:
„Da quoll ein dicker Dampf aus den Wänden, die Blätter fingen an
zu rauschen, wie vom Sturme geschüttelt,
und aus ihnen schossen blinkende Basilisken
im flackernden Feuer herab,
den Dampf entzündend,
dass die Flammenmassen prasselnd sich um den Anselmus wälzten.
Die goldnen Stämme der Palmbäume wurden zu Riesenschlangen,
die ihre grässlichen Häupter
in schneidendem Metallklange zusammenstießen
und mit den geschuppten Leibern den Anselmus umwanden.
[…]
Aber indem des Anselmus Glieder,
enger und enger
sich zusammenziehend,
erstarrten,
vergingen ihm die Gedanken.
Als er wieder zu sich selbst kam,
konnte er sich nicht regen und bewegen,
er war wie von einem glänzenden Schein umgeben,
an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich rühren, stieß.
– Ach! Er saß in einer wohlverstopften Kristallflasche
auf einem Repositorium im Bibliothekzimmer
des Archivarius Lindhorst.“
[…]
„Mit Recht darf ich zweifeln“,
schreibt E. T. A. Hoffmann,
„dass du, günstiger Leser, jemals in einer gläsernen Flasche verschlossen gewesen sein solltest.
[…]
Habe Mitleid . . . mit dem Studenten Anselmus,
den diese namenlose Marter
in seinem gläsernen Gefängnisse ergriff;
[…]
Er konnte kein Glied regen,
aber seine Gedanken schlugen an das Glas,
ihn im misstönenden Klange betäubend,
und er vernahm statt der Worte,
die der Geist sonst aus dem Innern gesprochen,
nur das dumpfe Brausen des Wahnsinns.
– Da schrie er auf in Verzweiflung:
Oh Serpentina – rette mich von dieser Höllenqual.“
20 Jahre lang,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
hat die Galerie art + form
bemerkenswerte Arbeit geleistet, hat nur den Besten gedient,
hat den Rahmen geliefert für so manche Grafik, für so manches Bild,
und hat nach Maßstäben der Qualität Ausstellungen organisiert
und ein gemischtes Warenangebot bereitgehalten
an diesem und jenem.
Jetzt
zum Jubiläum
hat sich die Galerie
den Flaschen zugewendet.
Allerdings nicht ohne jede einzelne Flasche
persönlich betreuen zu lassen
von namhaften Künstlern.
Das wirft Fragen auf!
Hängen wirklich so viele Künstler an der Flasche?
Oder stecken sie, wie Anselmus
in der Flasche
oder alle Galeristen
oder wir gemeinsam
oder nur zum Jubiläum
- 20 Jahre art + form - ?
Wenn wir art mit Kunst übersetzen und form eben mit Form,
dann könnte das dazu verleiten
zu glauben,
Kunst könnte auch ohne Form existieren,
sozusagen: als Inhalt der Flasche – ohne Flasche.
Immer wieder einmal flackert die Diskussion auf
um Auftragskunst.
Auf ganz eigene Weise hat sich jetzt
aus Anlass ihres 20jährigen Bestehens
die Galerie art + form in diese Diskussion eingemischt,
nicht theoretisch – sondern mit einem Auftrag,
der vieles offen lässt;
es galt, Flaschen zu gestalten.
Aber wie?
Dieser Auftrag – enthält eine Aufforderung / oder zumindest die Möglichkeit
– ausgesprochen, oder nicht –
zum schöpferischen / und wohl auch zum
spielerischen Umgang mit der Aufgabe.
Man musste sie nicht ganz ernst nehmen – diese Aufgabe,
aber auch nicht zu leicht.
Als Betrachter merkt man sehr schnell,
wem diese Arbeit so richtig Spaß gemacht hat:
Eigentlich allen Beteiligten (auch den Auftraggebern übrigens)
Man merkt, wen sie inspiriert hat
auf heitere
oder auf ernste Art.
Was kann man mit so einer Flasche tun?
Man kann, beispielsweise:
gegen die Flasche arbeiten,
das heißt: man umbaut sie, überbaut sie,
macht sie unkenntlich als Flasche
und manchmal muss man wirklich
auf das rückseitige Etikett schauen,
um zu erkennen:
Das ist eine Weinflasche.
Phantasiewesen
- Engel
- Teufel
- Adam und Eva
bärtige Männer und nacktbusige Frauen
umspielen, verhüllen, verbergen die Flaschen.
Man kann aber auch versuchen, beispielsweise:
mit der Flasche zu arbeiten, sie als Weinflasche zu akzeptieren,
vielleicht nur
ein Etikett zu erfinden
- im eigenen Duktus
- in der Ausdrucksweise
die man erprobt hat, für die man bekannt ist.
Man kann ein feines Gespinst von Farben
über den Flaschenkörper malen,
oder die Flaschen – wie in einen Schonbezug einstricken,
oder sie mit Kopfschmuck versehen
oder auch ornamentale Gravuren in das Glas bringen
- und das in vielen Kombinationen.
Wir alle kennen die Schiffe in den Flaschen
- Segelschiffe.
Immer staunt man
als Laie auf diesem Gebiet,
wie es gelingen kann, die Masten mit den Segeln
aufzurichten in den Flaschen.
Aber in unserem Falle sind die Flaschen ja voller Wein!
Bleibt nur, das Segelschiff oben auf die Flasche zu bauen.
So entsteht eine Art von Bugwulst-Schiff:
Sie werden staunen –
bizarre Figuren und Formen,
fesselnde Geschichten, zauberhafte Wesen
mit goldlockigem Haar,
anze Gebäude, Türme, in denen die Flaschen verborgen sind,
ein Einfallsreichtum der uns begeistern kann
und verführen zum Ersteigern!
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sehen Sie es mir nach, dass ich
nicht über
einzelne Künstlerinnen und / oder
einzelne Künstler spreche.
Ich hatte mir schon vor vielen Jahren vorgenommen,
zu keinen Anlässen mehr zu reden,
bei denen mehr als zwei,
höchstens drei Künstler zu würdigen sind.
Aber heute sind es 50!
Eine Auswahl konnte und sollte man nicht treffen,
das wäre ungerecht gewesen.
Auf jeden einzelnen einzugehen, hätte den Rahmen gesprengt.
Bleiben wir darum allgemein.
Über den Umgang mit der Flasche
in der Kunst
könnte man
ein Buch schreiben
(vielleicht gibt es sogar schon eins?)
In früheren Zeiten
sind Durchsichtigkeit, zarte Färbung,
besondere Form der Flaschen
auf Stillleben meisterlich erfasst worden.
Dann kam Giorgio Morandi, der die Flaschen und überhaupt die Gegenstände seiner Stillleben mit Farben angestrichen
und damit das Glas seiner Transparenz beraubt hat.
Auch für diese Art der Behandlung der Flasche
gibt es
hier Beispiele
Was übrigens macht man mit dem Wein?
Soll man als Käufer diesen Wein trinken,
gleich oder erst,
wenn er lange genug gelagert worden ist?
Oder hat er sein bestes Alter jetzt schon erreicht?
Frage man den Winzer!
Und was bedeutet es für das Kunstwerk,
wenn man die Flasche ihres Inhalts beraubt?
Oder ist das bei jeder Überprägung anders?
Jeder der beteiligten Künstler sollte dazu einen Hinweis geben.
Vielleicht nur auf Nachfrage.
Aber
Das Öffnen einer solchen Flasche ist natürlich nicht ohne Risiko.
Kaum ein Märchen,
bei dem das Geheimnis nicht in der Flasche steckte,
(Außer bei Rotkäppchen vielleicht, wo die Großmutter
mit Wein verwöhnt werden sollte,
die dann selbst
die Großmutter
zum Leckerbissen geworden ist
- für den Wolf -
an dessen weiterem Schicksal
die Wolfs-Schützer in der Lausitz keine Freude haben können.)
Der Student Anselmus klagte über sein Schicksal.
Da sagte jemand dicht neben ihm:
„Ich weiß gar nicht, was Sie wollen,
Her Studiosus,
warum lamentieren Sie so über alle Maßen?
Der Student Anselmus wurde gewahr,
dass neben ihm auf demselben Repositorium
noch fünf Flaschen standen,
in welchen er drei Kreuzschüler und zwei Praktikanten erblickte.
- Ach, meine Herren und Gefährten im
Unglück, rief er aus, wie ist es Ihnen denn möglich,
so gelassen, ja so vergnügt zu sein,
wie ich es an Ihren heitern Mienen bemerke?
Sie sitzen ja doch
ebenso gut eingesperrt
in gläsernen Flaschen als ich
und können sich nicht regen und bewegen,
ja nicht einmal was Vernünftiges denken,
ohne dass ein Mordlärm entsteht
mit Klingen und Schallen,
ohne dass es Ihnen im Kopfe ganz
schrecklich saust und braust.
Aber Sie glauben gewiss nicht an den Salamander
und an die grüne Schlange.
Sie faseln wohl, mein Herr Studiosus
erwiderte ein Kreuzschüler,
nie haben wir uns besser befunden als jetzt,
denn die Speziestaler,
welche wir von dem tollen Archivarius erhalten
für allerlei konfuse Abschriften,
tun uns wohl;
wir dürfen jetzt keine italienische Chöre mehr auswendig lernen,
wir gehen jetzt alle Tage zu Josephs
oder sonst in andere Kneipen,
lassen uns das Doppelbier wohlschmecken,
sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen,
singen wie wirkliche Studenten:
‚gaudeamus igitur’ und sind seelenvergnügt.
Aber meine besten, wertesten Herren!
sagte der Student Anselmus, spüren Sie es denn nicht,
dass Sie alle samt und sonders
in gläsernen Flaschen sitzen
und sich nicht regen und bewegen,
viel weniger umherspazieren können?
- Da schlugen die Kreuzschüler und die Praktikanten eine helle Lache auf und schrieben:
Der Studiosus ist toll,
er bildet sich ein,
in einer gläsernen Flasche zu sitzen,
und steht auf der Elbbrücke
und sieht gerade hinein ins Wasser.
Gehen wir nur weiter!
Im Mittelpunkt des Auftrages der Galerie art + form
steht die Flasche,
eine Weinflasche:
immer dieselbe Sorte
von demselben Radebeuler Winzer,
die Aufgabe war, mit dieser Flasche etwas anzufangen.
Der Inhalt des angestrebten Kunstwerks war also
vorgegeben -
heimischer Wein!
Die Form aber auch: - eine Flasche - ohne alle Besonderheiten -
eine gewöhnliche Flasche
Worauf es ankam:
Die Form durch eine andere Form zu überprägen!
Also eigentlich nicht
art + form,
sondern form + form als art
und das unabhängig von aller Formalismus-Debatte
längst vergangener Jahre.
Bleibt für mich nur ein Weg:
Sie allein auf die Suche nach der Flasche zu schicken,
die Ihnen am meisten zu vermitteln hat
und die Ihnen am meisten wert ist!
Bei der Versteigerung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Anselmus, der unglückliche Student in Dresden,
musste noch vieles Erschreckende mit anschauen und erleiden,
aber schließlich sprach der Geisterfürst:
Anselmus – Du hast deine Treue bewährt, sei frei und glücklich.
„Ein Blitz zuckte durch das Innere des Anselmus,
der herrliche Dreiklang der Kristallglocken ertönte
stärker und mächtiger,
als er ihn je vernommen
- seine Fibern und Nerven erbebten
- aber immer mehr anschwellend,
dröhnte der Akkord durch das Zimmer,
das Glas, welches den Anselmus umschlossen,
zersprang, und er stürzte in die Arme
der holden, lieblichen Serpentina.“
Aus Anlass des 20jährigen Bestehens von art + form eröffne ich die Ausstellung
und wünsche Ihnen – sofern Sie eine Kunst-Flasche ersteigern sollten,
das kein Geisterfürst sie zum Zerspringen bringt:
Allerdings müssten Sie sich dann auch die holde, liebliche Serpentina aus dem Kopf schlagen!
Harald Marx