Ostsee | Ausstellung vom 15.07. bis 30.08. 2018

Weshalb zieht es so viele Menschen immer wieder an die Ostsee?
Laut Wikipedia ist sie ein 412.500 km² großes und bis zu 459 m tiefes Binnenmeer und gilt als das größte Brackwassermeer der Erde. Über 20 Inseln tummeln sich darin.

Caspar David Friedrich weilte lieber auf Rügen als in Italien.
Ernst-Ludwig Kirchner malte auf Fehmarn 120 Ölbilder und fertigte Hunderte von Zeichnungen.
Emil Nolde ließ sich für 13 Jahre auf der Insel Alsen nieder.
Gret Palucca baute auf Hiddensee ein eigenes Haus.

Man könnte die Namensliste endlos weiter fortsetzen, denn die Faszination OSTSEE ist nach wie vor gerade auch bei bildenden Künstlern ungebrochen. 5 Künstler zeigen uns in dieser Ausstellung, was sie jahrelang und immer wieder dort hin reisen läßt.

Impressionen von der Vernissage

Sonntag, 15. Juli 2018

Laudatio
 von Heinz Weißflog

Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kunst,
hoch verehrte Sybille Nütt,
sehr geehrter Herr Dudek,
liebe Mitarbeiter/innen von art+form,
liebe Künstler mit Familien und Freunden!

Über die Ostsee und ihre Künstler zu sprechen, heißt, "Eulen nach Athen zu tragen". Immer wieder, von Generation zu Generation, zieht es das Künstlervolk an die Gestade des Meeres, in unserem Falle an die heiß geliebte Ostsee. Künstlerkolonien entstanden dort, wie auf Rügen der Künstlerkreis um Mönchgut und Großzicker oder auf dem Darß, wo das legendäre, leider vom Tourismus überschwemmte, teure Ahrenshop Magnet und Anziehungspunkt ist. In "Lüttenort" (Koserow, Usedom) lebte und arbeitete der große Maler, der aus Kiel stammende Otto Niemeyer-Holstein, wo sich jetzt ihm zu Ehren eine Galerie und ein Museum befindet. Aber auch die Sachsen scheinen eine besondere Liebe und Affinität zur Ostsee entwickelt zu haben. Nun heißt die jetzige Ausstellung bei art+form im Untertitel "Mythos, Illusion und Wirklichkeit". Wenn man vom Mythos spricht, so fallem einem die vielen Beweggründe ein, durch die ein Künstlerherz sich für den rauen Norden erwärmt. Es ist die Weite, die unergründbare Weite, die gerade die Künstler mit ostdeutscher Biografie aus der Enge und der Muffigkeit sozialistisch verordneter Genügsamkeit in Meeresnähe zog, um sich über das endlos erscheinende Wasser den eigenen Horizont wenigstens in der Illusion zu erweitern. Meer ist Muttergott im Mythos. Verschlingendes und Fruchtbares, Ungeheuer und Segen zugleich. Für den Künstler Refugium und Quelle neuer sich entwickelnder Kräfte, für den Melancholiker, der leicht zur Depression neigt, ausgleichende, positive Melancholie, Trost und Besänftigung. Umgeben von der "Mutter Natur", beginnt etwas in ihm, sich geborgen zu fühlen. Und er kommt bei sich an.

Natur ist überall, selbst im kleinsten Gefängnisloch, wo ein Fenster auf den Himmel weist. Sie ist gedachte Wirklichkeit, eine Schwärmerei, also eine besonders angenehme und gut tuende Form der Illusion, die den Kosmosophen (und das sind fast alle guten Künstler) fasziniert. Sich vorzustellen, dass die Welt grenzenlos ist und unendlich, ist eine wohltuende Genugtuung und beflügelt den Geist, der auf Unendlichkeit und Weite anspricht und plötzlich kreativ wird, der tausend Fäden knüpft, die die Ilusion mit der Wirklichkeit verbinden. Der Gedanke der allmächtigen Natur (wie wir ihn bei den Romantikern auch in ihren Bildern finden) ist höchst aktuell. Glauben doch die meisten Menschen nur an das, was sie sehen und ständig vor Augen haben. Die Kultur, in der wir leben, ist ein Gefäß, aus dem der Mensch nicht entfliehen kann. Aber es ist ein durchsichtiges Glas, das ihm die Möglichkeit bietet, sich in den ewigen Kosmos zu begeben. Wie gesagt, in Gedanken. Und Gedanken sind, wie wir wissen, frei und überwinden Mauern und Milchstraßen.

Allen voran geht in dieser Ausstellung ein Künstler, der aus dem alltäglichen Leben etwas Einzigartiges mit seinen Bildern erschafft: Eigentlich vom Figürlichen kommend, findet er beim Malen seiner Landschaften Zeit zum Atemholen. In der grundlosen Hinneigung zur Natur, zur eher kalten und abweisenden Schönheit des Nordens, entstehen ein besonderer Ausgleich, Distanz und kreative Besinnung. Der Dresdner Maler und Grafiker Reinhard Springer hatte mit neun Jahren sein Schlüsselerlebnis, was die Ostsee betrifft. Bei einer Urlaubsreise mit der Familie auf den Darß überwältigte ihn die Weite, der Schlund der Unendlichkeit, der sich fassungslos vor ihm auftat. Seitdem ist er jedes Jahr an die Ostsee gefahren, später, als er studierte und danach mit Malfreunden unterwegs war, erschloss sich ihm Skandinavien, vor allem aber die Ostsee, Rügen, Hiddensee, Poel, der Darß, Bornholm in Dänemark und Ölland und Gotland in Schweden. Auf dem Weg von Sassnitz an den Kreidefelsen entlang nach Stubbenkammer und dem Königsstuhl stand er plötzlich vor der Motivwelt Caspar David Friedrichs. Fasziniert und zu tiefst berührt spürte er die Verbundenheit mit dem großen Meister, der die Ostsee nach Sachsen geholt hat. Springers sperrige, schartige und spröde Formen, die Steinstrände der Schäreninseln, geröllartig aufgehäuftes Strandgut, die knochenweißen Kreidefelsen, bizarres Gesträuch und dahinter der Blick auf den Horizont, eröffnen dem Betrachter eine hochkultivierte Malerei mit feinsten Farbabstufungen, die in größter Bewusstheit vorgetragen werden. In dieser Ausstellung, deren Bilder-Auswahl Sybille Nütt vornahm, zeigt sich Springer einmal als düsterer, wilder und andermal heller, lieblicher Maler, der seine Formen verschattet und freie Blicke, aber auch Vordergründe mit Standgesträuch wählt. Feine rosaviolette Schattierungen, Grau und Schwarz, kraftvoll düster, manchmal orange-gelbe, mit Grün und Blau kontrastierende Farbspiele zeigen die Ostsee zu allen Jahreszeiten. Stimmungen, die im Künstler Resonanzen erzeugen und im Bild ihre erlebnishafte Vertiefung erfahren. Springer sucht die Nähe des Nordens immer wieder, das Mythische, die Urmutter, den Ausgleich zu einer in unendlicher Zerstörung begriffenen Welt (diesmal nicht nur in Gedanken). Eines der Bilder, das hier nicht zu sehen ist, stellt eine Tanzende dar, die sich vor der Weite des Meeres in Verzückungen biegt, gleichsam das Meer mit ihrem schwingenden Körper feiernd.

Poetisch und zart erfühlt sind die Küstenlandschaften um Rügen und Hiddensee von Ulrike Northing, eine leidenschaftliche Malerin und Naturfreundin, die es seit ihrer Kindheit immer schon ans Meer zog, sich 2007 den Wunsch ihres Lebens erfüllte und auf Hiddensee eine Wohnung und ein Atelier mietete. Im ehemaligen Rathaus lebt sie seitdem auf engem Raum unter dem Dach. Ulrike Northing (in Berlin geboren) hat drei Jahre an der Abendschule der HfBK Dresden und danach postgradual zwei Jahre dort studiert und sich in Dresden niedergelassen. Auf der Augsburger Straße 49 lernte ich die sensible, dunkelhaarige Frau zu Vernissagen und Ausstellungen zum ersten Mal kennen. Northing arbeitet in Öl, aber auch Pastell und Aquarell sind ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Früher entstand ein Bild unmittelbar vor der Natur, jetzt vollendet sie Feinheiten und Details im Atelier. Sie ist von den französischen Impressionisten beeinflusst, weniger von der Dresdner Schule, neigt aber, (sie sagt "altersbedingt") immer mehr zur Reduktion und zum minimalistischen Farbauftrag. Manche Bilder, wie die Winterlandschaften von der Küste, sind fast monochrom und jede kleine Nuance macht das Bild lebendig und interessant. Auch in die oft dominierenden Blautöne mischt sie manche Farbnuance, da ist ein Strömen und Rauschen, gischtiges Weiß, das auf den Bildern hörbar wird. Da Ulrike Northing heute nicht mit dabei sein kann, soll ich Sie ganz herzlich grüßen und Ihren Dank an das Team von art+form weitergeben.

Die Ostsee ist für den Maler Steffen Gröbner aus Weinböhla eine zweite Heimat. Er fühlt sich als bekennender Ostseemaler. Auch er war als Kind schon dort. Einzugsgebiete seiner Kunst sind Rügen, der Darß und Usedom. Bevorzugte Techniken sind das Aquarell und das Ölbild, sowie die Ätzradierung und die Aquatinta, die er nach intensiven Vorzeichnungen vor Ort oft mit Aquarellfarben koloriert, je nach Wettersituation draußen oder im Atelier. Gröbner ist Naturalist und Romantiker. Das mag schon etwas heißen, in einer Zeit, in der romantische Schwarmgeister belächelt werden und obsolet sind. Natürlich spielt dabei Caspar David Friedrich die entscheidende Rolle. Heute lebt und arbeitet er in seinem zum Atelier umfunktionierten Wohnmobil, um beweglicher zu sein und die teuren Hotels und Pensionen zu meiden. Seine Bildthemen sind das Abendlicht, Wetter-und Licht-Stimmungen, die Heimkehr der Fischer von ihrer Arbeit, Boote und Strandszenen. Natur und Licht dominieren im Werk von Steffen Gröber, der durch seine Elbbilder bekannt geworden ist. Er erhielt in der Meißner Porzellanmanufaktur eine minutiöse Ausbildung und hat dort lange gearbeitet. Über zehn Jahre studierte er privat bei den Malern Ulrich Jungermann, Heinz Löffler und Manfred Wünsche. Im Gespräch mit ihm spürte man die große Liebe und Leidenschaft für das Malen, für Natur, Wasser und Licht, wobei er die Topografie eins zu eins wiedergibt.

Der seit 20 Jahren in Bergen auf Rügen lebende Maler und Grafiker Gottfried Sommer (geb. 1935 im sächsischen Vogtland), Senior der Ausstellung, hat die Ostsee in seinen Studentenjahren an der HfBK Dresden bei den Professoren Otto Griebel, Edmund Götz, Werner Hofmann und Gerhard Stengel kennen und lieben gelernt. Die Dresdner Schule ist bis heute für ihn maßgebend geblieben. "Was einen geprägt hat, vergisst man nicht", sagt er über die Studienjahre. Anklänge an Curt Querner, Paul Wilhelm und Gerhard Stengel finden sich in seinem Werk, das größtenteils aus Aquarellen und Ölbildern besteht. Sommer malt schon lange nicht mehr vor der Natur, altersbedingt, bereitet aber seine Malerei mit Zeichnungen vor, die im Atelier umgesetzt werden. Er ist ein herber, wortkarger Mensch, eher still und schweigsam, der an der Ostsee sein geistiges Refugium gefunden hat. Im Aquarell lebt sich der Künstler aus, meisterhaft und großzügig legt er die Farbe auf das nasse Blatt, großartige Stimmungen werden festgehalten und verändern sich auf dem Papier zu etwas Neuem, durch Zufall und Eingriff gleichermaßen. Prof. Heinz Quinger schrieb in seinem Essay Der Beitrag von Gottfried Sommer zur Aquarellmalerei der Gegenwart: 
„Gottfried Sommers Landschaften sind assoziationsreiche Bildlandschaften einer neuen, vom Künstler geschaffenen Bildwirklichkeit. Seine Landschaften symbolisieren Himmel, Land und Meer, Wolken, Wind, Sturm, Sand und Buschwerk. Einige Blätter sind stark farbig, sie wirken wie Fantasiestöße, andere wurden verhalten Ton in Ton geschaffen. Bei aller Herbheit sprechen seine Bilder von Lebensfreude, sie zeigen Lebenskraft. Seine Blätter aus dem sächsischen Land, von Hiddensee und Rügen, sind sinnlich erlebt und intellektuell gestaltet. Sie vereinen Kontrast und Harmonie". 
Zum Werk schrieb Gert Clausnitzer zusammenfassend: „Es ist ein Sich-Einsehen in Atmosphärisches". Bekannt geworden ist Gottfried Sommer auch durch die beiden Kunst-Bildbände über Rügen mit der Schriftstellerin Ursula Ullrich, die für Sie, meine Damen und Herren, hier (nicht nur) zur Ansicht ausliegen.

Der Dresdner Maler und Grafiker Michael Klose hat an der TU Dresden Architektur studiert. Viele bekannte Architekten und Studenten sind gerade in Dresden später freie Maler geworden. In seinen wichtigsten Bildern (z.B. vom Blauen Wunder) spannt er den Bogen zwischen Elbaue und Ostsee. Wasserblau ist seine Lieblingsfarbe, die Farbe der Treue und seelischen Tiefe. Vor einigen Jahren stellte er an dieser Stelle Bilder unter dem Titel "Blaues Licht" aus. Tiefblau und seine vielen Nuancen in Mischtechniken und wasserfarbenen Bildern werden thematisiert. Nebelblätter und Bilder vom November am Meer, in großformatigen Aquarellen, meist unmittelbar vor Ort gemalt und eines davon mit Spuren von Wasser-und Regenspritzern versehen, die in einem kurzen Regen auf das Blatt sprangen und eine Tröpfelstruktur bildeten, machen das Bild authentisch und geben ihm eine besondere Würze. Zwei Großformate in Blau, Mischtechniken auf Leinwand, das linke mit Acryl, das rechte als Aqua-Acrylbild, verzaubern durch ihren sparsamen Farbauftrag und Minimalismus. Beide Bilder sind wie ein Aquarell behandelt. Sie sind in ihrer starken Reduktion mehr als nur Natur, oder Abbild davon: Manchmal schaut die blanke Leinwand durch: Klose will damit zeigen, dass es sich nicht um die Illusion einer Landschaft handelt, sondern um ein Bild mit Malerei. Die malerische Substanz tritt in den Mittelpunkt, die Landschaft dahinter zurück, ohne ihren Einfluss zu verleugnen. Eben von der Ostsee gekommen, erzählte er mir, das er seine aquarellierten Blätter ins Wasser gehalten hat. Die Natur ist der größte Lehrmeister für den Künstler.

In der heute der Öffentlichkeit präsentierten Ausstellung wirken Künstler aus mehreren Generationen und unterschiedlichsten Auffassungen mit, was die Malerei betrifft. Malerei ist immer auch Ausdruck von Haltung und innerseelischer Konsistenz des Künstlers. Von der Romantik über Impressionismus und Expressionismus bis hin zur postmodernen Spielart der Reduktion wird mit den fünf Handschriften auch Kunstgeschichte sichtbar gemacht. Gerade der Vergleich des Unterschiedlichen an einem gleichen Thema, wie hier die Küstenlandschaft der Ostsee, macht den Reiz dieser Ausstellung aus. Allen gemeinsam ist die Liebe zur Unabhängigkeit und Weite einer Landschaft zwischen Himmel und Meer, die auch kommmende Maler begeistern wird. Die Suche nach innerer Freiheit macht kreativ.
Über den Himmel in diesem Zusammenhang schrieb ich einmal in einer Gedichtsequenz: "Ohne Himmel hätte die Welt keinen Grund / ohne den Grund keinen Sinn".

Ich danke Ihnen.

Heinz Weißflog