Stephan Böhlig und sein Neustadtspaziergang

Viele kennen ihn. Manche haben ihn. Den Neustadtspaziergang. Fotografien aus der Dresdner Neustadt, als spannender Kalender oder handliche Postkarte. Der Fotograf Stephan Böhlig hat uns bei einer Tasse Tee ein paar Fragen über sein gedrucktes Projekt beantwortet. 

Vom Schnappschuss zum Kalender. War das so geplant?

Nein, gar nicht. Ich würde sogar heute noch sagen, dass es manchmal Schnappschüsse sind. Das Prinzip des Neustadtspaziergangs oder der Ursprung war, dass ich nach Entspannung gesucht habe während der Arbeitszeit. Und überlegt habe, wie kann ich zwischendurch mal abschalten? Wie kann ich mal das Büro verlassen? Was kann man tun, um sich mal zu entspannen? Irgendwann bin ich darauf gekommen, spazieren gehen ist eigentlich die perfekte Entspannung.  Und da ich neben dem Spazieren noch irgendetwas machen wollte, habe ich angefangen zu fotografieren und einige Ecken festzuhalten. Daraus entstammt eigentlich der Neustadtspaziergang und so ist er bis heute noch.

Ich nehme mir selten vor, wo ich hingehe. Es kommt aus dem Gefühl heraus. Ich habe jetzt eine Stunde Zeit, ich geh jetzt spazieren. Und dabei nehme ich immer eine Kamera mit. Ich schaue natürlich schon mehr darauf, was ich fotografieren könnte als früher. Früher war es so, dass ich noch mehr Fokus auf den Spaziergang an sich gelegt habe. Der Entspannungsfaktor ist aber immer noch wichtig. Also ich setze mich jetzt nicht eine Stunde an eine Straßenecke und warte, dass etwas passiert. Es ist immer noch der ruhige, entspannte Neustadtspaziergang durch die Straßen und in Hinterhöfe. Und eigentlich so gut wie immer allein. Eben weil das sonst nicht denselben Entspannungsfaktor hat. Und ich vor allen Dingen nicht so viel sehe. Wenn ich mit jemandem spazieren gehe, quatsche ich. Dann bekomme ich nicht, mit was um mich herum passiert. Deswegen ist es wichtig, dass es dieser Solo-Spaziergang ist.

Wie ist es vom Spazieren zum Kalender gekommen?

Über Zwischenschritte. Angefangen habe ich mit Postern und mit Postkarten. Mir kam die Idee, als ich in der Altstadt an einem Postkartenständer vorbei gelaufen bin und so gedacht habe, auf jeder Dresden-Postkarte sind die Frauenkirche oder der Zwinger. Primär die barocke Altstadt. Warum eigentlich nicht Fotos der Neustadt produzieren und als Postkarten raus bringen und als Poster? Ich habe damals 4 schmale Poster gemacht, die an die Jahreszeiten angepasst waren. Und dann habe ich mit ein, zwei Geschäften geredet, unter anderem mit art+form. Und habe da ein ganz positives Feedback bekommen und gedacht, na gut, dann probierst du das halt aus. Das hat tatsächlich gut funktioniert, weil es irgendwie niemanden gab, der so etwas vorher produziert hat. Der gesagt hat, ich mach jetzt mal eine Postkarte mit einem vollgesprühten Haus. Alle denken, man muss immer das besonders Schöne, Glänzende, Barocke zeigen. Ich finde ja die Ecken viel spannender.

Warum eine Postkarte?

Es ist ein Stück gedruckte Fotografie, die man mitnehmen kann. Man kann einfach eine im Vorbeigehen kaufen und sie jemandem schenken. Ich glaube, das ist auch die meist genutzte Funktion. Dass sie verschenkt wird. Sagen zu können, da drüben am Kühlschrank hängt ein Foto von mir, finde ich super. Und so können sich das viele Leute leisten. Das waren so tatsächlich die Grundgedanken zur Postkarte. Ich habe aus Spaß immer gesagt, ich will mal Postkarten-Millionär werden. Aber der Weg ist so weit, dahin muss es vielleicht auch nicht führen.

Der Kalender kam dann als nächster Schritt. Ich habe dann irgendwann gesagt, man muss die Fotos noch zusätzlich groß präsentieren. Ich bin ein großer Freund davon, dass man Bilder groß betrachtet. Weil man sich A mehr Zeit nimmt und B mehr sieht. Und ich hatte so viel Ausstoß über das Jahr, 12 Fotos bekomme ich auf jeden Fall zusammen, die passend sind. Und dann ist es natürlich schön, so ein wechselndes Produkt zu schaffen, was jedes Jahr wieder gekauft werden kann. Da lag der Kalender sehr nah. Auch den gab es halt nicht, es gab keinen Dresden-Neustadt-Kalender. Außer von Günter Starke. Das sind aber eher immer rückblickende Fotos und ich habe gedacht, da kann ich ja die aktuelle Neustadt zeigen. Die ist auf jeden Fall vorzeigbar. Und es gibt viele Leute, die sich diesen besonderen Stadtteil natürlich gerne anschauen. Auch wenn sie nicht von hier kommen, ist das natürlich eine gute Möglichkeit damit die Leute zu beglücken.

Aus welchem Jahr stammen die Fotos?

Ich fotografiere eigentlich immer von August zu August. Das ist quasi das fotografische Jahr für den Kalender. Alle Fotos, die im Neustadtspaziergang erscheinen, sind in den letzten 12 Monaten entstanden. Alle Fotos in dem neuen 2020er Kalender sind Ende 2018 bis 2019 gemacht. Damit eben niemand kommen kann und zum Beispiel sagt, das Haus da hinten steht gar nicht mehr oder ist jetzt saniert. Und weil es ja trotzdem immer viel Neues zu entdecken gibt. Deswegen ist so eine gewisse Aktualität auch wichtig. Genauso wie es wichtig ist, dass die Fotos zu den Monaten passen. Es wird jetzt nicht passieren, dass im November ein Sommerfoto kommt. Das ist ja in manchen Kalendern so. Darauf lege ich schon viel Wert. Dass alles ein rundes Bild des Jahres ergibt, welches man erlebt hat.

Machst du den Kalender alleine?

Die Fotos mache ich alleine, ebenso die Auswahl und die grundlegende Bearbeitung. Gestaltet wird der Kalender schon seit vielen Jahren von Kati Hegewald, einer befreundeten Grafikerin. Sie hat einen Stil, den ich schon immer mag. Wo ich mich auch immer darauf verlassen kann. Normalerweise bleibt ja das Design auch über die Jahre gewissermaßen gleich. Ich habe das immer so zwei, drei Jahre so gehabt, dass er vom optischen Aspekt immer gleich aussah. Und dann passiert immer mal etwas Neues, eine grafische Änderung oder eine neue Schrift oder so etwas. Das ist dann Katis Aufgabe und das macht sie immer sehr gut. Da kann ich mich einfach blind darauf verlassen und sagen, ich gebe ihr die Fotos und sie baut quasi am Ende den Kalender daraus.

Wo wird der Kalender hergestellt?

Hergestellt wird er seit diesem Jahr in zwei neuen Lokalitäten. Mich hat dieses Jahr das Bindwerk angesprochen. Eine Dresdner Buchbinderei mit viel Tradition hier in der Stadt. Die fragten mich, wo ich die Kalender eigentlich drucken lasse. Sie konnten mich ziemlich schnell überzeugen, dass ich das in deren Hände übergebe. Mir hat die Idee sehr gut gefallen, das hier in Dresden machen zu lassen. Vorher kam er nicht aus Dresden. Und das Bindwerk arbeitet wiederum zusammen mit der Union Druckerei, die sogar hier im Postleitzahlenbereich in 01099 sitzt. Zufälligerweise auch noch gegenüber von meinem Büro, quasi im selben Komplex. Besser kann es gar nicht sein. Ein lokales Produkt so lokal herstellen zu lassen. Und ich hatte gleichzeitig noch die Möglichkeit, mir das alles anzuschauen und beim Druckprozess dabei zu sein. In die Binderei zu gehen und mir das anzuschauen. Und das persönlich abzuholen, das macht natürlich bei so einem Produkt noch viel mehr Spaß als wenn das jetzt aus einer Großdruckerei vom LKW fällt. Das funktioniert sehr gut bisher und ist eine schöne Hand-in-Hand-Arbeit, die auch so weitergehen darf.

Und apropos weitergehen. Geht es 2020 weiter?

Bestimmt. Also ich sag immer, wenn ich mir nicht beide Beine breche und nicht mehr zum Spazieren gehen komme oder das Viertel verlassen muss. Was ich nicht glaube. Also es ist jetzt nicht geplant. Solange ich hier wohne, gibt es auch die Kalender. Ich glaube es wird schwierig, wenn man woanders wohnt, weil man den Bezug verliert. Dieses spontane Fotografieren gehen – wie ich es gerne mache und auch machen muss, weil es sonst zeitlich gar nicht anders geht – so lange gibt es auch auf jeden Fall die Kalender.

Wie wichtig ist ein analoges Produkt in den Zeiten des Social-Media-Überflusses?

Heutzutage etwas in der Hand zu haben, ist schon wieder viel Wert finde ich. Für mich ist es etwas ganz anderes, die Fotos so zeigen zu können. Ich freue mich unheimlich darüber. Über jeden der sich das in die Hand nimmt. Wenn ich bei art+form Leute sehe, die durch den Neustadtspaziergang blättern. Großartig. Die würden sonst nie so intensiv da stehen und sich die Fotos anschauen. Ich glaube auf dem Handy scrollt man halt mal schnell durch und tippt zweimal drauf und das war es. Man vergisst es wieder. Mit bedrucktem Papier beschäftigt man sich länger. Und es ist etwas, mit dem man anderen eine Freude machen kann. Heutzutage verlinkt man Leute unter Fotos, um ihnen was zu zeigen. Das ist im ganz Kleinen ähnlich. Aber es ist natürlich nicht dasselbe, wie jemandem einen Kalender zu schicken oder ihm das in die Hand zu drücken an Weihnachten.

Viele Bestellungen die ich bekomme, gehen tatsächlich zu anderen Leuten, die direkt als Geschenk geschickt werden. Denen schreibe ich dann jeweils noch eine Postkarte dazu, weil ich das immer super finde und denke, ich würde mich da sehr drüber freuen. Und das geht eben nur mit analogen Produkten. Im digitalen Bereich ist einfach alles viel schnelllebiger, viel schwieriger zu takten. Wer sieht es überhaupt noch? Leute zu erreichen ist in den letzten Jahren viel schwieriger geworden. Selbst mit einer großen Fanbase, wie sie der Neustadtspaziergang hat, ist es unheimlich schwierig. Weil man ständig mit allem anderen konkurriert. Und da geht so ein bisschen das Einzelne unter. So ein kleines lokales Projekt natürlich noch schneller. Deswegen sticht man mit so einem Kalender heraus.

Vielen Dank, Stephan Böhlig!

Den Kalender und alles vom Neustadtspaziergang gibt es bei uns in der Ladengalerie und im Onlineshop.

Alle in diesem Kalender gezeigten Fotografien von Stephan Böhlig und viele weitere Motive mit Ansichten der Dresdner Neustadt, können Sie jederzeit bei art+form erwerben.

Bei frei wählbarem Format sind diese auf folgenden Materialien erhältlich:

  • Fotopapier
  • Leinwand
  • Acryl/Alu-Dibond

Bei Interesse oder Fragen dazu sprechen Sie uns gerne an.

Der Neustadtspaziergang im Internet:
www.neustadtspaziergang.de
www.facebook.com/neustadtspaziergang
www.instagram.com/neustadtspaziergang

Das Interview gibt es auch als Video.

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