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Anton Paul Kammerer – einer der großen Namen der aktuellen Dresdner Kunstszene – verstarb leider am 29. Dezember 2021.
Seine Ausstellung Entdeckungen in der Galerie art+form, die eine Vielzahl von malerischen Schätzen präsentiert, wird in Gedenken an den Künstler stattfinden.
Wer seine Arbeiten kennt, der weiß, dass Anton Paul Kammerer ein wahrer Meister im Erzählen von Geschichten war – und ein Sammler.
Kammerers Bilder scheinen aus der Vergangenheit zu entspringen und wirken fast so, als wären sie im 19. Jahrhundert entstanden. Meisterhaft gelang es ihm, den Bildern Geheimnisse einzuweben und in den Betrachter:innen Fragen aufzuwerfen. Wohin fahren diese Schiffe? Woher kommen sie? Und warum schaut einem dieses porträtierte junge Mädchen so aufmerksam, so fröhlich und dennoch fast herausfordernd genau in die Augen?
Die Bilder von Anton Paul Kammerer nehmen uns auf eine malerische Reise mit, lassen uns an den Entdeckungen des Künstlers teilhaben und behalten dennoch so manches Geheimnis für sich.
Sonntag, 12. Juni 2022
Die Rede wurde von Wiebke Gerlach vorgetragen, weil Karin Weber erkrankt war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
leider hat mich das rätselhafte Virus nun doch entdeckt.
Ich bedaure es sehr, dass es mir aus diesem Grunde nicht vergönnt ist, meine Laudatio heute selbst vorzutragen.
Ich habe Anton Paul Kammerer, als junge Nachwuchswissenschaftlerin, Mitte der 1980er Jahre kennengelernt und war begeistert von diesem stillen, intelligent humorvollen, phantasiebegabten Mann, der so viele Geschichten zu erzählen wusste, dessen künstlerische Arbeiten mich sofort überzeugten und faszinierten. Ich war mir dessen bewusst, dass er inmitten der Dresdner Künstlerschar einzigartig ist. Und er blieb sich treu.
2001 notierte er: „Geschichte, das ist das Geschichtete, das sind zahllose Schichten neben- und übereinander, unzählige Schichten vergangener Zukunft. Im Leben jedes Menschen lagern sich Jahre, Tage, Stunden als Schichten übereinander zu einem unablässig wachsenden Stapel und das „Geschichten“-erzählen ist nichts anderes als… den Staub weg zu pusten und etwas zu erinnern, was im Innern der Geschichte oder der Zeit verborgen gelegen hatte.“
Die Arbeiten von Anton Paul Kammerer wirken wie aus der Zeit gefallen.
Sie sind ganz einfach schön: die Dahlien- und Hortensiensträuße, die maritimen Bilder, die atmosphärischen Landschaften, die zahllosen Stillleben. Sie geben unserer Sehnsucht Nahrung.
Der Künstler war ein Reisender zwischen den Welten. Er verband das was war, mit dem was ist und wagte zuweilen auch einen Ausblick in die Weiten des Werdens im Vergehen. Eine stille Melancholie weht zuweilen über den ockerfarbenen, erdbraunen, sepiareichen, blauen Untergründen.
Kammerer lebte und arbeitete naturnah in seiner Enklave in Burgstädtel.
Auf unzähligen Spaziergängen empfing er Inspirationen. Hier folgte ihm der Büffel, hier sah er den Mann mit Hund unter der Burgstädter Linde, hier schwelgte er im Borthener Blütenrausch.
In Burgstädtel hatte er sich gemeinsam mit seinen Freunden der B53 - Bernd Hahn und Jürgen Wenzel - 1997 niedergelassen, um gemeinsam mit ihnen zu arbeiten. B53 ist eine Zeit-Geschichte, an der Anton Paul Kammerer beteiligt war.
Er, der sich selbst einmal als „Zu-Spät-Romantiker“ bezeichnete, als „Meister der mitteldeutschen Collage“ und als größten „Paperschnipselverkleber der Welt“ kreiste mit seinen Arbeiten das gesamte Spektrum irdischen Seins ein und gelangte oftmals zu bewusstseinserweiternden Erkenntnissen.
Kammerer war ein Schatzgräber und ein Philosoph, orakelte mitunter ironisch auf den Papieren herum, brachte zusammen, was augenscheinlich nicht zusammengehört und jonglierte genussvoll mit Deutungen, Bedeutungen, Oberflächen und Hintergründen.
Kammerer war ein wunderbarer Beobachter, ein ausgewiesener Zeichner und ein sinnlicher Maler. In gewissem Sinne ist er der Indianer „Red Cloud“, dem er 2000 eine ganze Bildserie widmete, der seinen Ritualen treu bleibt, stolzen Hauptes seine Herkunft nicht verleugnet und selbstbestimmt seinen Weg geht - den Osten im Rücken, mitten im Westen - zwischen Sonnenauf- und -untergang.
Der „Reiter“ von 2018, das Motiv der Einladungskarte, steht für mich dafür als emblematisches Sinnbild. Mitten im herannahenden Unwetter, oder zieht es bereits ab? - blickt dieser von einer Anhöhe ins Tal. Ist es vor der Apokalypse oder bereits danach? Das ist dem Betrachter überlassen. Auf jeden Fall wird der Reiter die Geschichte weiter tragen.
Erstmals werden in dieser Präsentation, die noch gemeinsam mit Anton Paul Kammerer geplant wurde, ausschließlich malerische Arbeiten von seinen künstlerischen Anfängen der 1970er Jahre bis ca. 2018, in einem repräsentativen Querschnitt gezeigt.
Die Leinwände sind Schicht um Schicht entstanden, schrundig, lebendig aufgerissen. Ein inneres Leuchten bricht sich durch die Farbschichten.
Tonlos tickt die Zeit. Aber der Magier Kammerer, hält sie an, ist fasziniert von unerklärlichen Phänomenen, wie das Bild vom schwebenden Mädchen belegt. Für einen Moment schenkt er uns Stille, um zur Besinnung zu kommen und hüllt die Vielfalt bildgewordener Visionen in warme, leuchtende Farben, nimmt ihnen ihre krasse Deutlichkeit, so dass sich selbst über Albträume hinweg ein fast lyrischer Schimmer legt. Da ergeben sich musikalisch anmutende Dialoge zwischen Ocker und Schwarz, Blau und gedecktem Grün. Und ein intensives Glühen mischt sich in den Tanz von Komplementärfarben.
Er träumte, ohne verträumt zu sein und rang immer um Klarheit. Da er zweifelte, vertraute er seinen Bildern eher, denn Erklärungen.
Alles und Nichts. Wie das lodernde Feuer es verheißt, das auf einem großformatigen Bild zu sehen ist. Weltenanfang und Weltenende.
Lebenslust und Melancholie, Abstammung und Zukunft gehen im Spiel des Lebens ineinander über.
Die Wunderwelt seines Bilder-Kosmos ist die unmittelbare Zeugenschaft eines poetischen, tiefsinnigen Gespräches zwischen dem Künstler und seiner Begegnung mit dem Unsichtbaren. Er überschreitet mit seinen Arbeiten die vermeintlich totalitären Grenzen zeitgeschichtlicher Abläufe.
„Ich kann Raum- und Zeitsprünge machen, kann ganz neue Geschichten erfinden oder alte völlig neu erzählen. Ich werde als Maler zum Zeitreisenden, wobei mir als Reiseziel die Vergangenheit immer mehr lag, als die Zukunft“, so Kammerer 2001.
Vom faustischen Prinzip durchdrungen, begab er sich auf die Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und da er sich die Freiheit nahm, im unkomplizierten assoziativen Spiel mit Formen, Farben und Strukturen zu überraschenden Erkenntnissen zu kommen, konnten ihn agitatorisch-politische und soziologisch-gesellschaftliche Zwänge nicht verunsichern.
Kammerer gehörte zur „Vorhut“ derer, die auf der Straße 1989 noch roher Gewalt gegenüberstanden, bis dass die „Bewegung“ organisiert, in eine „friedliche Revolution“ mündete.
Am 9.November 1997 schrieb der Künstler folgenden Text:
„Wenn die Sonne sinkt, erwarten wir das Erscheinen des Mondes. Wenn das Morgengrauen das weiße Mondlicht blass werden lässt, erwarten wir das Aufgehen der Sonne. Das Ende des Winters ist für uns der Anfang des Sommers. Hiermit ist das Ewige beschrieben…Das Yin wird zum Yang und Yang wird zum Ying, wie es im chinesischen Buch I-Ging geschrieben ist. Das Neue muss sich in folgender Richtung entwickeln: Der Geist wird Leib, der Leib wird Staub, der Staub wird Geist…und so weiter.“
Kammerer erzählte immer und immer wieder surreal anmutende Geschichten, die keineswegs phantastisch ausufern, sondern zum großen Teil unsere Welt sehr eigenständig bespiegeln. Seine Erzählweise ist nicht geschwätzig, eher versponnen, so dass jeder Betrachter die imaginären Landschaftsgefüge für sich selbst ausdeutend erobern kann.
Das fein nuancierte, kostbar wirkende Farbspiel vom diffusen Novemberblau bis zum dunklen Sepiabraun zieht den Blick an sich.
Die Arbeiten sind schön, ästhetisch, man schwelgt darin, bis man sich überrascht der diabolischen Abgründigkeit bewusst wird: Die Fahrt ins Blaue kann auch in Katastrophen münden.
Anton Paul Kammerer hält uns, von liebenswerter Melancholie beseelt - Stille Einfalt, Edle Größe - einen Zerrspiegel vor Augen.
Bei der Durchsicht seiner Arbeiten stellte er 2015 fest, dass Tierdarstellungen eigentlich von Beginn an zu seinem Repertoire gehörten. Seit Kindertagen war der in Weißenfels geborene und in Merseburg aufgewachsene mit allerlei Getier verbunden gewesen. Waren es früher Wellensittiche, Teichralle, Nymphensittich, Fledermäuse, Saatkrähe und Pit-Bull-Terrier, wurden es dann Schmetterlinge, Krähen, Stubenfliegen, Katzen, Hunde und immer wieder Büffel, archaische Büffel, die sich in die Bilder schlichen, mit denen er Augenhöhe durch sächsische Landschaften zog oder mit denen er rastete und sein Pausenbrot teilte.
Kammerer resümierte: „Das mit uns seelenverwandte Tier hat den Nachteil der Sprachlosigkeit. Die einen verwenden wir als Steaks, andere als Kuscheltiere, jedenfalls benutzen wir sie - oft schamlos. Andere vergiften oder zertreten wir. Eins scheint uns nützlich, ein anderes rotten wir aus…Fernab von militanten Tierschützern und Vegetariern versuche ich auf meine Weise mit den Tieren auszukommen. Sentimentale Tierliebe erlischt z.B. bei den Heerscharen der Nacktschnecken im Garten. Entweder Blumenbeete, dann aber Schneckenkorn - ansonsten Kahlfraß… Ich halte das Töten eines Tieres wie gesagt nicht für ein Sakrileg, wenn es gegessen wird. Weidmännisches Jagen ist notwendig. Die artgerechte Haltung lehne ich z.B. bei Stubenfliegen ab… Feindliche Übergriffe von Mardern auf die Kabel meines Autos, die räche ich irgendwann. Und dann gerade im Spätsommer Myriaden von Obstfliegen. In Merseburg aufgewachsen habe ich natürlich ein inniges Verhältnis zu Kolkraben - Odins Beratervögeln. Hinter Kreischa am Wielisch gibt es Brutpaare. Hoch am Himmel alte und junge, die akrobatische Kapriolen vollführen. Die Stimmen der Rabenvögel erkenne ich mittlerweile sehr gut, mit der Übersetzung hapert es noch…“
Ein Bild in dieser Ausstellung „Der Krähenschwarm“, aus dem Jahr 1999, nimmt Bezug darauf. Man spürt die nasse Kälte und hört regelrecht das Kreischen der Vögel.
Am 17. Juli 1954, im Sternbild Krebs, erblickte Anton Paul das Licht der Welt. Er wuchs bei seiner geliebten Oma Berta im ländlichen Dobichau, bis zur Einschulung, auf. Oma Berta erklärte ihm die Welt. Als Flüchtling hatte sie ein Zimmer zugewiesen bekommen. Dort spielte sich das Leben ab. Sein eigen nannte Anton Paul ein Fensterbrett zum Spielen. Das war seine Bühne für die Steine, die er gesammelt hatte und die Mitbringsel aus dem Wald.
An diese Fensterbrettbühne erinnert das Gemälde „Kastanien“ von 2010. Später waren seine Zeichnungen und Collagen von linearen Rastersystemen durchzogen, Horizontlinien, die die Papiere in Erde und Himmel, ein schweres Unten und ein transzendentes Oben einteilten, unbewusst sicher in Erinnerung an die kindliche Bühne.
Nach der Oberschule hat er von 1971-1973 eine Berufsausbildung als Gebrauchswerber, sprich Plakatmaler bei der HO absolviert. Während der Armeezeit bewarb er sich an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und bestand die Eignungsprüfung.
1980 diplomierte er bei Prof. Jutta Damme zum Thema: „Stadt, Mensch, Alltag“. Aus dieser Zeit gibt es mehrere Bilder in der Ausstellung, die von Farbflächen leben.
Seit 1983 arbeitete er zusammen mit Jürgen Wenzel, Bernd Hahn und Andreas Küchler. Sie gründeten auf der Bürgerstraße53, die Künstlergemeinschaft B53, bauten eine eigene Grafikwerksatt auf und gaben erste Editionen und Mappen-Werke heraus. Anton Paul wurde 1983 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR und arbeite engagiert in der Arbeitsgruppe „Junger Künstler“.
1990 reiste er mit einer Gruppenausstellung nach New York und Boston,1993 weilte er zu einem Arbeitsaufenthalt in Tel Aviv. Die künstlerische Anerkennung nahm an Fahrt zu.
Er war ein leidenschaftlicher Sportschütze und er spielte gerne auf der Gitarre und sang dazu. Das Bild „Katana“, das Porträt eines historischen Samurai-Schwertes, kündet von seiner Faszination für historische Waffen.
Kammerer erlag immer wieder seiner Lust am akribischen Zeichnen, an brillanten Naturstudien und seinem Hang zum geheimnisvollen Ausdeuten.
Das ist nachvollziehbar auf den Vanitas-Stillleben, der Bußmahnung an die Lebenden, die Zeit zu nutzen, vergänglich in eine vergängliche Welt gestellt.
Er bekannte sich zu seiner Wurzelbedürftigkeit und bezeichnete nicht ohne Grund in einem Fernsehinterview seine Werke als Pflanzen, die man hegen und pflegen muss, damit sie Blüten treiben.
Seine künstlerische Arbeit war für ihn nie eine Flucht in eine gemalte, heile Welt, sondern ein Versuch, den Alltag mit seinen undurchschaubaren Verwicklungen und Widersprüchen schärfer zu durchdringen.
Lassen wir den Künstler noch einmal zu Wort kommen:
„Das zweitgrößte Rätsel, das die Erkenntnisfähigkeit der Menschen strapaziert, wird die Plattform von Wissen und Weisheit bilden. Und hier treffen sich Geschichtenerzähler aus allen Treppenhäusern und von allen Kaffeetafeln dieser Welt, die Visionäre, die Wissenschaftler und die Spinner, Homer und Jules Verne, Stephen Hawkins, Tom Waits und die Evangelisten. Irgendwie gehöre ich dazu.“
Die Zeitreisenden werden wohl zukünftig in farbigen, gasgefüllten Ballons starten. Eine grenzenlose Freiheit verkündend…
Karin Weber
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