Wozu Bilder | Ausstellung vom 23. April – 8. Juni 2023

Wir laden Sie und Ihre Freunde sehr herzlich ein,
die Ausstellung zu besuchen:

  • vor Ort in unseren Galerieräumen
  • im Virtuellen Rundgang hier auf unserer Homepage
  • Gewinnen Sie in unserem AUSSTELLUNGSVIDEO einen exklusiven Einblick in das Atelier von Moritz Götze und erfahren Sie Wissenswertes über den Werdegang des Künstlers und seine aktuellen Arbeiten.

Zur Ausstellung ist eine Vorzugsedition erhältlich.

Moritz Götze, einer der wichtigsten deutschen Pop-Art-Künstler, überrascht immer wieder mit neuen witzigen, originellen sowie tiefgründigen Bildfindungen. Die Ausstellung zeigt neue Werke des Künstlers und wirft zugleich die Frage auf: Wozu Bilder?

In seinen Arbeiten kombiniert Götze spielerisch und charmant-humorvoll historische Referenzen aus Geschichte, Kunst und Literatur mit neuzeitlichen und modernen Komponenten. Immer wieder wird dabei auch selbstironisch die eigene Rolle als bildender Künstler hinterfragt.
Die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Götzes Werk enthält verschiedene Bedeutungsebenen, so dass sich dem Betrachter hinter den heiteren und scheinbar unbeschwerten Visualisierungen oft überraschende inhaltliche Kontextualisierungen eröffnen. Das macht neugierig auf eine eingehendere Beschäftigung mit Götzes Bildwelt.

Lassen Sie sich vom faszinierenden Kosmos des Künstlers begeistern und freuen Sie sich auf eine sinnreiche und farbintensive Vielfalt an aktuellen Emaillearbeiten, Gemälden und Grafiken des Künstlers!

Impressionen von der Vernissage

Sonntag, 23. April 2023

Paul Kaiser: Rede zur Vernissage am 23.04.2023
Paul Kaiser hält die Rede zur Vernissage

Rede zur Eröffnung am 23.04.2023

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Moritz,

eine gewerbliche Lobrede hat Moritz Götze nicht nötig. Die erträgt er, zumeist. Mitunter kann er diese, höflich wie er ist, aber nur nicht brüsk genug von sich weisen. Die ihm in den letzten 30 Jahren entgegengebrachten Floskeln einer staunenden Huldigung will ich an diesem Ort nicht wiederholen. Als kleine Reprise mag genügen, daran zu erinnern, dass sich der Kunstbetrieb scheinbar einig darin ist, Götzes farbkräftige Bilder für eine zeitgemäße Pop art des 21. Jahrhunderts zu halten. Vielerorts gilt ebenso die Einschätzung, dass in seiner Kunst die romantische Ironie in ihr postmodernes Zeitalter eingetreten sei, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass in seinen Werken immer mal wieder die blaue Blume der Frühromantiker und das am Netzkabel hängende Smartphone des digitalen Nomaden gemeinsam zitiert werden. Und die Elogen an den 1964 in Halle geborenen Künstler reichen bis hin zum nachhaltigen Urteil unseres Weggefährten Christoph Tannert, der einmal treffend formulierte, Moritz Götze sei für ihn einfach ein genialer „Kidnapper auf dem Feld des Populären“.

Man kann es ohne Superlative vielleicht so sagen: Dieser Künstler ist trotz seines heiteren-pragmatischen Gemüts schwer zu fassen. Er passt nicht in die bekannten Schubladen kunsthistorischer Einordnung, die bedenklichst knarren, wenn man es trotzdem versucht. Das zeichnete sich bereits ab, als ich Moritz Götze anlässlich einer Ausstellung kennenlernte, die 1990, wenige Monate nach dem Mauerfall, in der Ostberliner Galerie Weißer Elefant stattfand. Sie trug den Titel „Sweet home“ und versammelte in gewisser Weise ausschnitthaft den Kunstbesitz aus seinem heimischen Quartier. Grellfarbige Siebdrucke hingen über einem Spielautomaten, Vitrinen voller Historienkrempel standen neben einer mitgebrachten Sesselgruppe, durch das Instrumentarium einer Punkband sah man Gemälde von Panzerkreuzern. Dies alles war vollends unorthodox gehängt und gestellt. Eine Provokation, noch in der DDR angezettelt, die nun in der wilden Zeit der Anarchie zur Installation eines Davongekommenen wurde, für den durch die sogenannte Wende von 1989/1990 die Türen zur Welt aufgingen.

Wenn Sie sich heute, hier bei Art und Form, umschauen, liebe Kunstfreunde, dann hat sich gegenüber den künstlerischen Anfängen das Inventar zwar geändert – das dahinter liegende Prinzip einer radikalen Neuverhandlung der Kultur aus dem Geiste des Moritz Götze ist jedoch unerschütterlich dasselbe geblieben. Das künstlerische Periodensystem seiner Elemente erscheint vielleicht austarierter und die bildnerischen Affekte halten ihr typisches Brodeln mehr als früher zurück, aber in seinem faszinierenden Bilderkosmos kann man nach wie vor keine Grenze zwischen den ansonsten strikt separierten Welten, Werten und Wissensordnungen erkennen.

Wo gibt es das auch sonst? Wir treffen hier in der Ausstellung auf Friedrich Nietzsche als emailliertes Tortenstück. Wir sehen mit Buntstift überarbeitete botanische Schaubilder, die anstelle floraler Wuchsformen groteske Menschenszenen zeigen. Und wir staunen in seinem 2023 fertig gestellten „Dresdner Stillleben“ über das emaillierte Tableau einer verrätselten Stadtliebe – im schönen Schatten eines sich entblätternden Blumenstraußes lassen sich hier versteckte Zitate von künstlerischen Anregern finden, deren Liste von Caspar David Friedrich über Ralf Kerbach bis zu Wolfgang Smy reicht. Daneben thront die wohl aus einer Auktion erworbene Porzellanversion der Dresdner Europa. Das alles umgeben von intimen Reminiszenzen des Künstlers, wie die auf einer Geldkarte notierte Telefonnummer 44086, deren mysteriöse Präsenz das Geheimnis des Urhebers bleibt.

Egal, ob diese Rufnummer nun zu einer Erkenntnis führt. Dieser Künstler, sehen wir, folgt keinen Trends – aber er setzt auch keine. Vollends singulär erscheinen seine bildnerischen Mittel gegenüber den von Galeristen geschützten Stil- und Generationskonventionen der letzten Jahrzehnte. Bei Moritz Götze gibt es kein Oben und kein Unten der Rangordnung und bei ihm existieren keine Zugriffsrechte gegenüber den Artefakten des Alltags. Das hat zur Folge, dass vor diesem Künstler weder Wände, Möbel noch keramische Oberflächen als sicher erscheinen können. Ausrangierte Flipperautomaten gestaltet er zu spektakulären Objektmaschinen und auf Wunsch anhaltinischer Kirchgemeinden findet er bildnerische Lösungen für Altarräume. Mit seinem Malerfreund Rüdiger Giebler ging er in den letzten Jahren auf Weltreise, auf eine Grand Tour, in Anklang an die Kavaliersreisen früherer Epochen, und zusammen mit Weggefährten gründete er vor einiger Zeit den Kunstverein Kaisersaschern, frei nach Thomas Manns Romans „Doktor Faustus“, dessen Hauptfigur Adrian Leverkühn diese fiktive Bezeichnung als imaginierten Zielort begriff.

In dieser Ausstellung fallen vor allem die Emaillen auf, mit denen sich Götze wie kein Zweiter ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen hat. In einer irgendwie über die Zeit der Transformation gekommenen alten Emallierfabrik im sächsischen Penig experimentiert er seit 1995 mit einer Technik, die für ihn eben kein anderer erledigen mag und kann – der Malerei auf Industrieemaille. Es erscheint mir kaum ein anderer Malgrund möglich, der besser zu seinen Themen passte, die zwischen der Suche nach Schönheit und der Ambivalenzen des Nationalen changieren. In Götzes Malereien auf dünn gewalztem, emaillierfähigem Stahlblech sächsischer Produktion erhalten seine oftmals ornamental verzierten Sinnzeichen gewissermaßen eine industriell vermittelte Prägekraft. Dieser manuell-handwerkliche Herstellungsprozess ist ein ferner Gruß an die globalisierte Welt aus der Perspektive eines Überlebenskampfes, den seine Heimatstadt Halle und jene ostdeutsche Mentalität mit unentschiedenem Ausgang führt.

Die Welt in der Provinz und das Leichte im Schweren – wer sich in die Bildwelten Götzes mit Neugier einsieht, der bemerkt schnell, wie diese Kunst auf der spielerischen Grenzüberschreitung gründet. Dies meint nicht nur die Überschreitung von Stilformen, sondern vor allem die Zulassung des Zufalls und des Prinzips der Unwahrscheinlichkeit. Anekdotisch sei hier angemerkt, dass Moritz Götzes mit dieser Tugend bereits die Staatssicherheit in der DDR in Verwirrung setzte. Die Stasi unterstellte dem jungen Mann Ende der 1980er Jahre jedenfalls kühne Projektideen, die einem Renaissance-Künstler zur Ehre gereicht hätten. So glaubte sie ernsthaft, Götze könne sich per Heißluftballon aus dem sozialistischen Staube machen. Ein MfS-Bericht merkt an, „dass der Übersiedlungsersuchende glaubhaft beabsichtige, die DDR ungesetzlich zu verlassen und zu diesem Zweck ein Fluggerät bauen will. Entsprechende Literatur kann Götze bereits besitzen.“ Um nun die Flucht Götzes zu verhindern (welche der Künstler nie geplant hatte), schickte die Stasi ihre inoffiziellen Mitarbeiter in die wissenschaftlichen Bibliotheken der Universität, um in vorauseilender Selektion nach jener Literatur zu suchen, die dem jungen Künstler bei diesem Plan hätte behilflich gewesen sein können.

Es brauchte keinen Heißluftballon, damit Moritz Götze schließlich im „anderen Deutschland“ ankam und zu einem der bemerkenswertesten Künstler seiner gesamtdeutschen Generation wurde. Das Einzigartige an Götzes künstlerischer Identität ist, dass diese nicht auf den Mustern des Ressentiments beruht. Im Gegenteil – der Künstler ist zu einem sozialen Anker in seiner Heimatstadt geworden. Halle scheint ohne seinen schier omnipotenten Immobilienretter, Herausgeber, Projektinitiator und Förderer des Randständigen gar nicht mehr denkbar zu sein. Wie dieser Maler sein enormes Pensum bewältigt, mit Präzision und historischer Tiefenschärfe, mit grundsätzlicher Offenheit, Neugier und Empathie, das ist mir bis heute ein produktives Rätsel geblieben.

Aber es gibt auch Pausen in der Permanenz dieses aufs Ganze zielenden Spiels. Einen Zugang zum Schaffensmodus bieten in dieser Ausstellung vier Leinwände aus den letzten beiden Jahren. Unter dem Titel „Wozu Bilder?“ gruppieren diese sich zu einem Zyklus melancholischer Selbstdiagnose. Sie zeigen ein seltenes Innehalten im Aktivismus des Künstlers. Schon seine Gouache „Der Maler“ aus dem Jahre 2017, ebenfalls in dieser Ausstellung vertreten, hatte die Sinnfrage gestellt, in dieser Werkgruppe nun tritt die Reflexion über das künstlerische Selbst gänzlich in den Vordergrund.

Echte Selbstporträts in programmatischer Absicht – wie sein Ölbild „Selbst nach Dürer“ aus dem Jahr 2021 – sind ohnehin selten in Moritz Götzes Werk. Er ist keiner, der sich gerne immer wieder selbst in die Augen sieht. Lieber schlüpft er in die Figuration des Dritten – sei es in historischer Gestalt oder als Ikone der Konsumgesellschaft. Insofern sind die leeren Wände in seinem Atelier in der Hallenser Burgstraße, welche die Bilder des Zyklus „Wozu Bilder?“ zeigen, Spiegelflächen seiner eigenen Existenz. Die Linien, Striche und Schlieren an den Wänden, die von den Farben der hier gemalten Formate stammen, zeugen einerseits von seiner enormen Produktivität. Zugleich aber sind sie das Mahnzeichen einer gnadenlos vorrückenden Zeit – in der das „ernste Spiel“ der Kunst, da bin ich mir sicher, eine weitere Dimension gewinnen wird.

 

PAUL KAISER