Impressionen von der Vernissage

Einführung:
Heinz Weißflog, Schriftsteller und Journalist
Musik:
Michael Kaden, Akkordeon

Laudatio von Heinz Weißflog

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, lieber Albrecht und Attila Günther!

Als ich im Jahr 1983 die Kunsthandlung Patzig in Freital Potschappel besuchte, entdeckte ich dort eine Ausstellung mit Bildern von Herta Günther, die mich zuerst erschreckten, dann aber erstaunen ließen. Vollbusige, schwarzhaarige und rothaarige Frauen mit heller Haut und weitem Decollté, stark geschminktem Mund, einsam in einem Café sitzend, das Glas Aperitif in der Hand oder eine langstielige Zigarette rauchend. Das Thema war für DDR-Verhältnisse ungewöhnlich, ebenso seine Realisierung. Der Maler und Kunsthändler Gerhard Patzig war sich des Risikos voll bewusst gewesen, als er die Günther ausstellte, die mit ihrer Malerei dem Sozialistischen Realismus ein Nase zeigte. Diether Schmidt hatte die Ausstellung eröffnet und damit die besondere Nachhaltigkeit und den Wert von Herta Günthers Kunst orakelt, die bis heute nichts von ihrer Noblesse und eigenwilliger Grazie eingebüßt hat.

In seiner damaligen Laudatio schrieb der renommierte Dresdner Kunstkritiker: "O nein, Herta Günther ist keine Künstlerin des einfältigen Herzens. Aber sie freut sich der Einfalt alltäglichen Lebens und anspruchsloser Existenzen. Diese Freude gebiert Humor. Betrachtend geht sie auf Distanz zum wuselndem Leben, gerade so weit, dass sie die Übersicht gewinnt. Da macht sie ihre Entdeckungen in Straßenbahn, Kneipe und Zirkus, Warenhaus und Damentoilette, Museum und Garderobe, auf Flanierstraßen und Vorstadtgassen, an Flussufer und Bahndamm. Unter ihrem Blick kommen die Erscheinungen wie gebannt zur Ruhe. Zuständlichkeiten werden zu suggestiven Bildern, in denen die Zeit stillezustehen scheint. Raum und Atmosphäre gewinnen eignene Macht. Der leise summende Ton ebenso melancholischer wie poetischer - also besinnlich glücklicher Stunden schwebt darüber, mehr Rauschen eigenen Blutes im Ohr als Klang der Sphären. An sanfter Frauenhand führt uns Herta Günther zu uns selbst. Im Friedlichen finden wir uns mit ihr wieder." Und an anderer Stelle: "Weniger die märchenhafte Folkloristik Sells ist ihr eigen, vielmehr eine naive Direktheit voller zwinkernder Poesie, in wohlbegründeter Skepsis gegen die Ausschließlichkeit der Ismen und Avantgardismen, wenn auch in Kenntnis ihrer Errungenschaften, deren für sie brauchbaren Elementen sie sich offen hält".

Warum ist Herta Günther so wie sie ist? Was muss in einer Künstlerin vorgegangen sein, solche intensiven Menschenbildnisse zu schaffen? Das große Interesse an Menschen, die in der Atmosphäre des Caféhauses sich heimisch fanden, wo hat es seine Wurzeln? Damals war ein Caféhausbesuch etwas ganz Besonderes, Kribbeliges und Spannendes, ein magischer Ort, wo man die Nähe des anderen spürte, aber auch die Blicke der heimlichen Beobachter. Hier herrschte das Prinzip Sehnsucht, ein Hunger nach Welt und Weite, die es nicht gab. Wer war nicht als "Jäger und Sammler" auf der einsamen Spur nach einem Partner oder einer Partnerin?

"Meine Bildwelt kommt mir viel realer vor, als die Realität selbst", sagt Herta Günther von sich und ihrer Kunst und sie ergänzt: "Ich bin immer etwas rückwärtsgewandt und liebe die Distanz, die Einsamkeit". Schon als Kind ging sie gern ihre eigenen Wege, brauchte das Für-Sich-Sein und das Sich-Zurückziehen in das eigene Zimmer, genoss aber auch die Gemeinschaft und das schauspielerische Rollen-und Verwandlungsspiel mit den Eltern. Aus musischem Hause stammend, gutbürgerlich und tolerant, war besonders dedr Einfluss des Vaters wegbestimmend, formte Herta Günthers geraden und unbestechlichen Charakter.

In Vorbereitung dieser Vernissage traf ich mich mit Herta Günthers ältestem Sohn Albrecht zu einem Bier an historischem Ort, dem Ballhaus Watzke. Albrecht kümmert sich rührend um das Werk seiner Mutter. "Nach dem Tod von Jürgen Günther brach für meine Mutter eine Welt zusammen" sagt er. "Die Ehe mit Jürgen Günther war eine beglückende Symbiose. Er hielt ihr den Rücken frei, kümmerte sich viel um die äußeren Belange der Kunstausübung und war ihr bester Kritiker und Anreger. Sohn Albrecht lebte in einer den Künsten aufgeschlossenen Umgebung und erfuhr große Anregungen von Kind an: "Man saß als Kind bei Dr. Fritz Löffler mit einem Bilderbuch in der Hand auf dem Sofa", kommentiert er augenzwinkernd.

In Dresden studierte Herta Günther von 1951-1956 freie Grafik bei den Professoren Max Schwimmer und Hans Theo Richter, den inzwischen legendären Lehrern der HfBK und schloss mit dem Prädikat "Ausgezeichnet" ab. Schwimmers Talent, die Schüler behutsam nach ihren Anlagen zum Eigenen hinzuführen, lobt sie heute noch: "Man konnte bei ihm sehen lernen und man begriff, was im Bild wichtig ist, die formale Spannung, vor allem zwischen den Flächen". Richter dagegen machte Raum und Mensch im Bild begreifbar, erklärte die anatomische Form über deren Funktion. Von beiden musste sich Herta Günther schließlich lösen. Als Lehrer schätzte sie beide. Bis heute fühlt sich die Künstlerin mit den Alten Meistern, Holbein und Cranach, den Franzosen Matisse und Toulouse Lautrec, Goya, George Grosz verwandt, aber auch und vor allem mit Otto Dix, ihrem unbestrittenem Meister. Für viele ihrer Bilder, besonders die Stillleben, ist die traditionelle japanische Kunst (Tuschemalerei, Farbholzschnitt) von Bedeutung. Hans Körnigs grafische Kunst und die Bleistiftzeichnungen von Albert Wigand waren unmittelbare Anregungen.

Die Farbradierung begründet Herta Günthers frühen Erfolg schon in der ersten Ausstellung 1966 im Club der Intelligenz, 1968 im Leonhardi-Museum, 1971 vor allem durch die Ausstellung im Unionshaus, auf welcher sie über Dr. Fritz Löffler die damalige Kulturredakteurin der UNION, Ingrid Wenzkat kennenlernte, die seitdem ihr Werk kontinuierlich begleitet hat und förderte und mit der sie bis heute eine herzliche Freundschaft verbindet. Zahlreiche kleinformatige Ölbilder entstanden in diesem Zeitraum, in denen sie die umfangreichen Zeichnungen umsetzt. Seit den 80er Jahren favorisiert sie das Pastell, anmutige Blätter mit feinem Sfumato.

Schon damals fielen ihre Arbeiten durch eine ungewohnte Nähe zum Alltäglichen auf, zu den Menschen, zu den Haltsuchenden in Cafés, Bars und Kneipen, auf den Straßen und Ecken und in den Vorhallen der Bahnhöfe und Bierstuben. ("Bistro", 1990, Kohle). Herta Günther ist volkstümlich aber nicht populistisch. Das Porträt in Kombination mit dem Interieur zeigt das Privatime im Rahmen des Öffentlichen, gewissermaßen als Vorwand ("Paiser Café", 1991, Pastell). Raum und Detail treten zurück. Spannung wird erzeugt durch die Figur und wie sie im Raum steht oder sitzt. Immer wieder geht der Blick in die Tiefe des Raumes, der sich von einer Ebene zu anderen staffelt. ("Zwei allein", 1998, Mischtechnik). Manchmal steht dazwischen eine Tür oder davor ein Tresen ("Gastraum (Auguststraße)" 2002). Geheimnisvoll scheint sich dort das eigentliche Geschehen abzuspielen. Wie im Traum treten die Gesichter aus den Bildern hervor, meist Frauen und Seemänner ("Seebär", 2013, Pastell), Gescheiterte, Verlorene und Suchende ("Enttäuscht", 2004, Aquarell). Man wird an den verhinderten Seemann Joachim Ringelnatz und seinen Gedichtband "Hafenkneipe" erinnert. Die weißen Gesichter der Frauen mit dick aufgetragener Schminke leuchten, tragen aber immer wieder jenen beispiellosen Ausdruck von Naivität und Berechnung, Verführung und Zurückgezogenheit auf ihrer glatten Oberfläche ("Im Sofa", 2008, Pastell). Die "richtige Kneipe" oder die kleine Bar sind es, die hier in den Mittelpunkt rücken, ihre Besucher aus dem Kleinbürgertum und Exoten.

Trotzdem geht es der Künstlerin nicht nur um Formales oder um das milieutypische Verhalten von Außenseitern und gescheiterten Existenzen. Vielmehr nimmt sie behutsam inneren Anteil, indem sie sich malerisch mit ihnen auseinandersetzt und durch eigene Erfahrungen vertieft. Distanz und Nähe zu ihnen werden sorgsam ausbalanciert. Oft sind es einsame, gestrandete Frauen, über die sie mit ihrer Kunst nachdenkt, ihre geheimen Wünsche und Begehrlichkeiten, Leidenschaften und innere Abgründe kennt. Dass etwas von ihr selbst in ihren Bildern enthalten ist, beweist nicht nur ihr Signum, das sie meist originell in Schildern, als Reklame oder in einem Wandspruch einschreibt. Dabei schöpft sie aus ihrer inneren Welt, jenseits der äußeren Realität, im Vollzug eigener Vorstellungen und Erfahrungen zwischen Real-Sozialismus und Global-Kapitalismus. Immer mehr wird beim Betrachten ihrer Bilder jener Satz von Nicolas Chamfort klar, dass es ein Irrtum ist, "das Glück außerhalb unseres Selbst zu suchen, dass es, wenn überhaupt, nur in uns selbst zu finden ist".

Albrecht am Biertisch im Ballhaus Watze sagt: "Bis heute gefällt mir die Kunst meiner Mutter. Sie hat mich wesentlich geprägt. Aber auch die Musik, die sie hörte (Jazz, Blues, die Beatles, Edith Piaf) und die Bücher in ihrer großen Bibliothek, mit solchen Autoren wie Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner (ich liebte besonders das Kinderbuch "Anton und Pünktchen"). Einen meiner Söhne nannte ich nach Kästners Romanhelden "Fabian". Meine Tochter Caroline hat bei Prof. Kerbach an der HfBK Dresden studiert. Darüber freuen wir uns alle sehr".

Nach der Wende werden Herta Günthers Bilder schroffer, sarkastischer, indigniert gegenüber den zunehmend rüden kapitalistischen Verhältnissen. Vogelgesichter tauchen auf, Gier in den Zügen, Hass und Neid. Natürlich hat Herta Günther die Kneipen und Cafés ihrer Bilder selbst besucht, sich vor Ort Notizen auf Briefumschläge und Bierdeckel gemacht. Aber erst im Atelier erweckt sie ihre Erlebnisse zu neuem Leben, mit großem Vergnügen und einer frechen, humorigen und augenbetörenden Sinnlichkeit, in Bildern, die weicher, samtener und milder geworden sind, sowohl im Tafelbild, Pastell und Aquarell. Plötzlich tritt in den Frauenbildnissen die Freundin hinzu ("Freundinnen 2000, MT). Gemeinsames wird sichtbar. Immer sucht Herta Günther nach einer "inneren Mitte", nicht nur in der Komposition und Farbgebung, sondern auch im Ringen um den besonderen Ausdruck für die jeweilige Situation. Was dabei herüberkommt, ist erstaunlich.

Die zahlreichen Landschaften dagegen wirken fast monochrom, wie vergilbt und sehr alt mit feiner Patina, manchmal auch düster (Straßenszene 1991", MT). Neben den Flusslandschaften mit ihren Schiffen und Anlegestellen sind es die alte Architektur der Neustadt, Pieschen, Mickten ("Konkordienstraße 1.1. 2005", Kreide),  Übigau, die "Pieschener Allee" (1998, MT), das als stilles Winterbild überzeugt.

Herta Günthers Bilder sind unspektakulär. In der DDR waren sie eine nicht einordenbare Größe, fast eine Provokation. Heute sind sie Bilder einer sterbenden Caféhauskultur, aber auch Psychogramme ihrer Besucher, leise aber eindringliche Zeitzeichen. Schwerpunkt dieser Ausstellung sind Bilder von 1990 bis 2015, die sich mit dem "neuen Lebensgefühl" in einer Welt, die wieder in arm und reich getrennt ist, beschäftigen. Dabei ist sie sich im Stil und im Ausdruck treu geblieben. Wie eine Bestätigung ihres Tuns vor dreißig Jahren, haben die Zeitverhältnisse die Künstlerin eingeholt und aus ihren seltsamen Außenseitern und kleinen Gernegroßtuern der Provinz ausgewachsene Kapitalisten und Neureiche, Huren und soziale Absteiger gemacht, die in ihren Bildern an das Dixsche Panoptikum und damit beinahe fatal an die Zeit der endzwanziger Jahres des vergangen Jahrhunderts erinnern.

Ich danke Ihnen!

Heinz Weißflog

Laudatio von Heinz Weißflog

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