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01099 Dresden
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Montag bis Freitag 10-19 Uhr
Samstag 10-18 Uhr
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täglich 24h für Sie geöffnet
Sonntag, 28. April 2013, 17 Uhr
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Einführung:
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Bistra Klunker, Journalistin
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Musik:
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Leandro Raszkewicz, Gitarre
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Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zur Kunstausstellungseröffnung mit Bildern und Figuren von Wiebke Steinmetz. Ich benutze das schöne deutsche Dekompositum „Kunstausstellungseröffnung“, weil man so sofort weiß, um was es geht. „Vernissage“ wie das hier auch heißt, ist zwar nobler, klingt nach Champagner. Doch was heißt das eigentlich? „Vernis“ ist Französisch und bedeutet Firnis. Früher haben die Künstler zum Abschluss ihre Werke mit einem Firnis überzogen, Oberflächenschutz also. Allerdings veränderte der Firnis auch mal die Farben. So mussten sich die Künstler mit dem Endergebnis zufriedengeben – weiter malen konnten sie ja nicht mehr auf der gefirnissten Fläche. Da haben sie den Schock mit einem kräftigen Schluck Wein bekämpft und daraus etwas Feierliches entwickelt – eben die Kunstausstellungseröffnung.
Dass es hier um Kunst geht, haben wir erstmal geklärt. Sie fragen sich sicherlich bereits, in welchem Verhältnis ich zur Kunst stehe oder anders gesagt, welche Kunst ich so besonders beherrsche, dass ich hier vorn stehen und Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehmen darf. Sie können sich ruhig entspannen. Es dauert noch eine Weile, bis ich zum Kern komme. Alle paar Minuten das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern hat sich bei Kunstausstellungseröffnungen schon als Durchhaltegarantie bewährt.
Ja, welche Kunst beherrsche ich besonders? Ich beherrsche die Kunst, meinem Mann den Kauf einer teuren grünen Tasche so zu vermitteln, dass er zu Tränen gerührt ist, weil er mir glaubt, dass dieser Kauf meinen Wert als Mensch steigert – nach 31 Ehejahren ist das schließlich auch in seinem Interesse. Ich beherrsche darüber hinaus die Kunst, Theaterschaffenden ihre Inszenierungen zu erklären. Und ich beherrsche famos die Kunst, Ausländern Nothilfe zu leisten, wenn sie an der deutschen Sprache zu verzweifeln drohen und sich im Gestrüpp von Wörtern verirren wie „Kunstausstellungseröffnung“ oder „Schornsteinfegertrainingsgelände“. Doch es ist eine Funktion, die ich hier heute innehabe, eine Funktion so wie ich sie auffasse, die wie ein Aufschrei wirken sollte. Na, erraten, welche Funktion es ist?
Ich stehe heute hier als Mahnmal. Sie schauen vielleicht schon auf Ihre Einladungskarten – keine Angst, sie sind hier richtig, zur Kunstausstellungseröffnung mit Bildern und Figuren von Wiebke Steinmetz.
Ich stehe also hier als Mahnmal – so wie die Dresdner Frauenkirche früher, nur nicht in so einem dramatischen Zusammenhang und nicht so ruinös. Ich sehe mich als Mahnmal für die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen. Ich mahne, weil ich glaube, dass wir nicht mehr fähig sind, die kleinen Geschichten zu sehen, die uns der Alltag erzählt.
Als Kind lag ich im Sommer gern auf der Wiese vor dem Haus meiner Großeltern, schaute in den Himmel und ließ mir von den Wolken Geschichten erzählen. Ich sah, wie eine krause Wolke zu einem Monster mit dunklen Rändern unter den Augen wurde und eine andere Wolke verschlang, die meiner verhassten Mathelehrerin zum Verwechseln ähnlich sah. Sie waren schön, diese Wolkengeschichten, auch weil mein Cousin neben mir auf der Wiese in der gleichen Wolkenkonstellation den Riesenhund des Nachbarn erkennen konnte, der in Seifenblasen getaucht und also heiß gewaschen wurde und zu einer Maus schrumpfte. Aber welches Kind macht das heute noch, auf die Wolken glotzen und nach Geschichten in ihnen suchen? Wenn das Kind heute „Wolkengeschichten“ hört, wird es fragen: „Bei welchem Anbieter gibt’s die App?“ Oder „Ist das ein Kontakt bei Facebook?“
Die biografischen Daten von Wiebke Steinmetz können Sie übrigens im Internet auf der Seite von art & form lesen, auch die Preisliste finden Sie da.
Ach, die Geschichten, wo sind sie hin, haben sie schon das Land verlassen? Kein Visum bekommen, Duldung ausgereizt? In welche Richtung sind sie gegangen? Richtung Südwest glaube ich - ja, ich sehe was. Eine Landschaft mit Strommasten und starkstrom-resistenten Katzen und Vögeln drauf. Ein Ort ist in Sicht, ein Schild: „Pulvis et umbra sumus. = Staub und Schatten sind wir.“ „Umbra“ ist richtig. „Umbra“ heißt „Schatten“ auf Lateinisch. Daher kommt bestimmt „umbrella“ auf Englisch – obwohl in England „rainbrella“ logischer wäre, denn vor welcher Sonne wollen die sich Schatten spenden? Jedenfalls mein Ziel ist das sagenumwobene Land Umbra-Brella, da wo Schirme im Schatten wachsen, und aus Schirmen Menschen und aus den Menschen andere Vögel. Das Land der Schatten-Figuren.
Mit diesem Schild hier stimmt was nicht. „Staub und Schatten sind wir.“ Oh, pardon, mein Navi hat „Schatten-Figuren“ mit „Schattenwelt“ verwechselt.
Nee, in die Unterwelt will ich nicht. Umdrehen. Weiter nach Südwest.
Mensch, ist das weit, nehmen wir doch einen Schirm, einen von diesen Umbra-Brellas - die Leute dort machen es doch auch so – hin zur Klippe, Schirm aufmachen, in den Wind halten, losfliegen, für manche geht es gut, für manche nicht – ein Versuch ist es wert. Na bitte, es funktioniert! Wunderbar, diese frische Brise vom Meer. Was ist das da unten? Es sind die Konturen eines Schiffes zu erkennen. Um mich herum sind jetzt weitere herumwirbelnde Frauen mit Schirmen. Ein Sturm zieht auf, unsere Kleider flattern. Auf dem Schiff schwatzen 3 Frauen gemütlich, andere stehen auf dem Bug und schauen zum Horizont, einige halten Ausschau in schwindelerregender Höhe im Ausguck. Die Dame dort in der Takelage mit dem schicken Täschchen, ist das nicht Frau von der Leyen? Sie hat es tatsächlich geschafft – hier sind doch lauter Frauen auf allen Schiffsetagen, 100 Prozent Frauenquote, mein Gott, Ursula! Der Sturm wird heftiger, das musste ja so kommen, wir kippen um, Kiel oben treiben wir im Wasser, mir wachsen Flossen, die Koffer sinken auf den Meeresgrund, schade um den Dresdner Stollen, den wollte ich doch als Souvenir, falls ich...
Ufer in Sicht. Potemkinsche Dörfer. Im Dorf eins sind alle Frauen durch Leitern miteinander vernetzt. Die Männer sind nicht zu sehen, denn sie würden den guten Eindruck zerstören - das macht man so in Potemkinschen Dörfern – etwas wird herausgeputzt, um den verheerenden Zustand zu verbergen. Im Dorf 2 streckt Frau Potemkina den Kopf aus dem Fenster und fragt: „Mit oder ohne Frühstück?“ Doch die Behausung ist mir zu luftig, diese Fensterläden mit den weit auseinander genagelten Stäben, das zieht doch. Ein Kamel schlüpft aus einem Ei, ich steige drauf, schon rennt das Viech los, als wolle es ein Formel-1-Rennen gewinnen. Ein Ort, Thel Aswad, „Schwarzer Schatten“ auf Arabisch, da bremsen die Viecher, eine Riesenstaubwolke umhüllt Tier und Reiter, Sand knirscht zwischen meinen Zähnen, jetzt verstehe ich, warum die Kamele hier Mundschutz tragen. Jetzt sieht man was, 2 Schornsteinfeger auf Kamelen setzen zum Duell an, der König ruft: „Ein Königreich für ein Kamel“ und haut schon ab.
Die Frauen haben ihre Koffer gepackt und die Karawane reisefertig gemacht – sie haben genug davon, dass sie nichts zu sagen haben, dass sie in Anwesenheit von Männern demütig nach unten schauen müssen, dass ihr Wert in Kamelen bestimmt wird – welche Frau bitte wird sich das gefallen lassen – ich bin 4 Kamele wert, aber die Fatima vom Nachbarn 7 Kamele? Schluss damit! Die Karawane zieht weiter, die Hunde … Ja, die Hunde, die haben im Land der Skuggi („Schatten“ auf Isländisch) eine lange Leitung. Und an Regentagen schaukeln sie mit Vögeln, Menschen, Katzen und dem frisch gewaschenen Unterhemd über der Landschaft, mit Umbra-Brellas in der Pfote als Schutz vor dem Regen.
Unter der Brücke im Land Kivuli („Schatten“ auf Swahili) steht man schon Schlange für die Wundermedizin, die ein Mütterchen in Fläschchen vor dem Haus verkauft. Was mag das sein? Was Homöopathisches – also Nichts mit noch mehr Nichts verdünnt? Alt und Jung drängt sich dahin. Die Wundermedizin mache glücklich und man nehme Rücksicht aufeinander und man werde unverletzlich und man leide nie wieder Hunger, erzählen sich die Leute in der Schlange. Ein paar Dörfer weiter ist eine deutsche Delegation mit Guido Westerwelle an der Spitze und er erzählt den Dorfbewohnern Ähnliches, nur verkauft er keine Fläschchen, er sondiert nur – also sondieren ist das, wo man Sonden ins Gelände reinrammt, um zu schauen, ob aus der Gegend was zu holen ist. Der König auf dem Kamel hat inzwischen genug von der Flucht, er kehrt zurück zum Land Lalatak („Schatten“ in der Tetum-Sprache in Osttimor). Er lässt die Königin was kochen – sie tut es Zähne knirschend und schielt heimlich auf ihr Smartphone, und liest, was ihr Liebhaber vom siebten Königreich hinter den Bergen bei den sieben … Sie wissen schon … was er also gepostet hat. Der Diener bringt das Essen, wohl wissend, dass es ungenießbar ist, so wird der Diener immer kleiner, der Weg ist lang durch den königlichen Saal, und der Diener ist verschwunden, bis er vor dem König tritt, die Schüssel mit dem Essen zerschellt, der König hat Hunger. Wutentbrannt verlässt er den Saal und zieht sein gesamtes Königreich wie ein leergeräumtes Schachbrett hinter sich her. „Waschtag!“ ruft er aus, als könnte er damit Wahlen gewinnen...
Und ich bin ein Mahnmal. Ich ermahne Sie – suchen Sie die Geschichten, bevor sie auf Nimmerwiedersehen das Land verlassen, weil sie kein Visum in Ihr Herz bekommen. Das wäre schade. Und Wiebke Steinmetz würde aufhören, uns ihre Geschichten zu erzählen – mit Bildern, die in komplizierter Projektions- und Scherenschnitt-Technik entstehen; mit filigranen Schiffen wie aus einer Welt, wo alles dünner und durchsichtiger zu sein scheint; mit Holzfiguren, die wirken, als hätte sie ein Traumzauberbaum erzählt. Das wäre alles nicht mehr da. Stellen Sie sich das mal vor. Suchen Sie die Geschichten ...
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