Impressionen von der Vernissage

Sonntag, 31. Januar 2016, 17.00 Uhr
Einführung: Undine Materni, Schriftstellerin
Musik:
KlezmArt, Dresden
Karen Weinert, Violine | Frank Haussig, Kontrabaß
Holger Nagel, Akkordeon | Ekkehard Riedel, Klarinette

 

Laudatio von Undine Materni

Sehr geehrte Gäste und Freunde der Kunst, liebe Ingeburg Feuerstack,

eigentlich hält sich meine Begeisterung für Zahlen in Grenzen. Und so habe ich während meines Chemiestudiums oft die Mathematikvorlesungen geschwänzt und bin lieber spazieren gegangen. Viele Jahre später wies mich ein freundlicher vietnamesischer Blumenhändler, bei dem ich einen Blumentopf für 9,99 € gekauft hatte, darauf hin, dass die Neun eine Glückszahl sei und es für mich bestimmt ein schöner Tag würde. Und vielleicht bin ich ja auch deshalb ein glücklicher Mensch, weil ich am 9.9. geboren wurde und die Quersumme des Geburtsjahres wiederum eine 9 ergibt. Das Glück teile ich heute und hier gern mit Ihnen, denn es geht um eine Ausstellung mit dem Titel Das achtzehnte Jahr. Die Neun ist nicht nur eine ausnehmend ästhetische Ziffer, bei der sich Form und Linie aufs trefflichste vereinen, nein, sie ist auch eine Universalzahl, die Quersumme ihres Produkts mit den Zahlen eins bis zehn ergibt immer wieder eine Neun. So ist es auch bei der 18. Ja, und da heute 33 Künstler präsentiert werden und wenn man wiederum das Produkt bildet … dann, ja, dann wird heute mit Sicherheit ein guter Tag.

Anlass dieser Ausstellung ist der Abschied einer Frau von der Galeriearbeit in diesen Räumen, einer sehr lebendigen und engagierten Frau, die von sich selbst sagt, dass sie nicht gern im Mittelpunkt steht – Ingeburg Feuerstack. In den letzten 18 Jahren hat sie Arbeiten von ungefähr 60 Künstlern aus Dresden, Berlin, München, Hamburg, Leipzig, Hartkirchen, Fürstenwalder – um nur einige Orte zu nennen hier – in diesen Räumen zu Ausstellungen zusammengetragen. Was Sie, liebe Gäste, von denen die meisten heute sicher nicht das erste Mal hier sind, dann zu sehen bekamen, waren die Ergebnisse von Ingeburg Feuerstacks Bemühungen. Denn den Ausstellungen voraus gingen oft mehrere Besuche in den Ateliers der Künstlerinnen und Künstler und dort galt es zu schauen, zu staunen und – auszuwählen, wobei Letzteres mit Sicherheit am schwierigsten war. Doch so bunt und unterschiedlich wie ihre Arbeiten sind auch die Künstlerinnen und Künstler selbst, und so fand Ingeburg Feuerstack im Laufe der Jahre unterschiedlichen Zugang sowohl zu den einzelnen Personen als auch den Entwicklungen von deren künstlerischer Arbeit. Oh, diese unerhörten Möglichkeiten, wie Freund Brecht schreibt … Da ist es dann immer auch eine ganz persönliche Sicht von Ingeburg Feuerstack, die sich sowohl in der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler als auch in deren Arbeiten widerspiegelt, die sie hierher mitbrachte und mit Sorgfalt den Wänden anvertraute. Diese Räume hier scheinen ja auch wie gemacht für wundervolle Augen-Blicke …

Und natürlich haben wir uns im Vorfeld überlegt, wie das gehen kann: 33 Künstler, ein Sonntagnachmittag und relativ wenig Sitzplätze. Schweren Herzens haben wir uns für die Kurzversion entschieden und Sie in der Einladung nicht gebeten, sich mit Schlafsack, Isomatte und Thermoskanne für eine Rede auszurüsten, die jedem der Künstler ausführlich gerecht zu werden versucht.

Deshalb will ich zu jeder Künstlerin und jedem Künstler nur einen Satz sagen, einen Satz, den ich nicht selbst erfunden, sonders aus Katalogen, feinen Reden und Besprechungen zusammengetragen habe.

Jutta Bauer: In ihren Zeichnungen, Karikaturen und Illustrationen erzählt Jutta Bauer alltägliche, aber auch tragikomische Geschichten, deren Bilder sich festsetzen wie Lebensweisheiten.

Quint Buchholz: Fenster gibt es viele in seinen Bilder, und geöffnete Türen.

Konstanze Feindt Eißner: Über die Sinnlichkeit des Steins trägt Konstanze Feindt-Eißner die Botschaft vom Menschen weiter.

Tina Flau: Kuchenkringel neben der Kaffeetasse, Himmelsboot über Häuserdächern, alle Dinge meinen eine ganze Welt.

Kerstin Franke-Gneuß beherrscht die Alchemie der Radierung, die Zusammensetzung und Wirkung von Säuren und sie hat den Mut, sich überraschen zu lassen.

Carsten Gille arbeitet einerseits noch viel zeitloser, aber doch ist zu spüren, dass er seine stillen Winkel in einem Mittendrin sucht.

Herta Günther: Dieser Künstlerin entgeht nichts, aber sie stellt niemanden bloß.

Bernd Hahns Arbeiten sind durchaus geprägt von realen Wahrnehmungen; ob Landschaft, Musik oder Gegenstand – er führt die Dinge zu einer inneren Verdichtung und Ordnung und setzt sie in eine neue, abstrakte Zusammengehörigkeit.

Angela Hampel: Die Künstlerin meidet jegliche Dekorativität. Es zählt nur die Mitteilung – hart, kalt, ohne sich dem Betrachter anzubiedern.

Heike Herzog zeigt die Transparenz des Zufälligen.

Walter Herzog: Seine Bildmotive findet er in märkischer Landschaft, am Ostseestrand und in der Sächsischen Schweiz.

Michael Hofmann ist ein Meister des Farbholzschnitts, der seine unverwechselbare Bildhaftigkeit durch expressive Farb- und Formensprache erreicht.

Veit Hofmann: Die kraftvollen, farbigen Blätter sind voll erzählerischer Dichte, Ironie und Hintergründigkeit.

Anton Paul Kammerers Landschaften sind oft der Phantasie entnommen und häufig agieren vor ihnen auch Vögel.

Michael Klose: In seinem gesamten künstlerischen Schaffen setzt sich der Maler und Grafiker intensiv mit erlebter Landschaft auseinander.

Holger Koch: Seine Kunst ist befreiend, heiter und nachdenklich; sie verzaubert und beglückt den Betrachter.

Wolfgang Kühne: Draußen aber entdeckt er als feinfühliger Beobachter immer mehr auch die faszinierende Dramatik atmosphärischer Ereignisse.

Gerda Lepke: Aus den vielen, frei schwingenden und scheinbar ziellosen Strichen entstehen flirrende Farbstrukturen, die in der Gesamtschau mal eine Landschaft, einen Himmelsausschnitt, mal ein Porträt oder eine Skulptur neu erschaffen.

Johanna Mittag: Neben den bildhaften Eindrücken aus der Landschaft schöpft die Künstlerin ihre Ausdruckskraft aus der Musik.

Stefan Plenkers: Auf seinem Weg zu zunehmend abstrakteren Formen nahm Plenkers mit, was ihm gefiel – ein freier Geist, der sich begeistern ließ und umstandslos in seine Welt assimilierte, was ihn berührte.

Konrad Schmid: Seine Holzschnitte sind meist getragen von farbigen Flächen, auf denen Linien und Formen zum konzentrierten Ausdruck werden, und in den meist zyklischen Arbeiten, verwandeln sie sich von Bild zu Bild.

Karola Smy: Sie ist geradezu neu-begierig auf die Lebe-Welt, Lebe-Wesen, meist Insekten, Vögel, Reptilien und Fische sind die Akteure ihres Welttheaters.

Wolfgang Smy schafft Sinn-Bilder für gesellschaftliches Zusammenleben: Lebens-Bilder, in denen existentieller Kampf ums Überleben stattfindet.

Reinhard Springer: Der Spiegel, in den Reinhard Springer blickt, ist oftmals dunkel verfärbt, aber aus dieser Dunkelheit kristallisiert sich ein kostbares Leuchten heraus.

Ursula Strozynski: Ihre Kaltnadelradierungen, Aquarelle, Monotypien und Ölbilder von Landschaften und Gebäuden bestechen durch Klarheit und Großzügigkeit.

Gudrun Trendafilov: Frauen, Köpfe, Figuren, Paare, die mit Lebendigkeit, geistiger und sinnlicher Ausdruckskraft zum Betrachter sprechen, sind die wesentlichen Bildinhalte ihrer Arbeiten.

André Uhligs Motto stammt von Caspar David Friedrich: „Der Maler soll nicht nur malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“

Anita Voigt entdeckt in ihren Farbholzschnitten und Linoldrucken das Detail in der Landschaft und abstrahiert es in ausdrucksstarken, symbolhaften Bildern.

Carla Weckeßer beschreibt das Fragile des Augenblicks ebenso wie Zärtlichkeit, Hinwendung und Nachdenklichkeit.

Dieter Weise experimentiert mit ungewöhnlichen Materialien wie Gips, Teer, Lack, Draht, Wolle und die von ihm gern benutzten Teebeutel.

Antje Wichtrey: Durch die Reduzierung auf das Wesentliche transportieren ihre Arbeiten eine ganz besondere Leichtigkeit und Emotion, die durch die handgedruckten mehrschichtigen Farbflächen noch verstärkt wird.

Tina Wohlfarth widmet sich besonders der großformatigen Tiefdrucktechnik, dabei variiert sie ihre Motive in allen Techniken der Radierkunst, wodurch sie serielle Bilder entwickelt.

Peter Zaumseil: Immer schwingt in seinen Arbeiten – egal welche Ausdrucksform er wählt – ein frecher, anspielungsreicher und humorvoller Unterton mit, und genau das macht sowohl den Menschen als auch sein künstlerisches Werk so besonders.

Das also sind sie: 33 der unerhörten Möglichkeiten, die Welt in der Kunst einzufangen und ihr Gestalt zu verleihen.

Eines der schönsten Gedichte über die Möglichkeiten hat die polnische Dichterin Wisława Szymborska, meine Herzensdichterin, geschrieben. Und vielleicht steckst du, liebe Ingeburg, es dir in die Tasche und ziehst es dann heraus, wenn du dich einmal nicht entscheiden kannst, was du lieber tust oder lässt in den nächsten neun, achtzehn oder siebenundzwanzig Jahren, die mit Sicherheit viel Erstaunliches, Wunderbares und Bedenkenswertes bereithalten.

 

Möglichkeiten

Mir ist das Kino lieber.

Mir sind Katzen lieber

Mir sind die Eichen an der Warthe lieber.

Mir ist Dickens lieber als Dostojewskij.

Ich bin lieber ein Menschenfreund

denn als Freund der Menschheit.

Nadel und Zwirn zur Hand sind mir lieber.

Die grüne Farbe ist mir lieber.

Lieber behaupte ich nicht,

der Verstand sei an allem Schuld.

Mir sind Ausnahmen lieber.

Mir ist es lieber, beizeiten zu gehen.

Mir sind die alten gestrichelten Illustrationen lieber.

Mir ist die Lächerlichkeit, Gedichte zu schreiben lieber

als die Lächerlichkeit, keine zu schreiben.

Mir ist es lieber, in der Liebe die geraden Jahrestage

täglich zu feiern.

Ich mag lieber die Moralisten,

die mir nichts versprechen.

Mir ist die schlaue Güte lieber als die allzu leichtgläubige.

Ich mag die Erde lieber in Zivil.

Die Hölle des Chaos ist mir lieber als die Hölle der Ordnung.

Die Märchen der Brüder Grimm sind mir lieber als Leitartikel.

Mir sind Blätter ohne Blüten lieber als Blüten ohne Blätter.

Die vielen Dinge, die ich hier nicht aufgezählt habe, sind mir lieber

als die vielen hier ebenfalls nicht aufgezählten.

Ich mag die Nullen lieber lose

als zur Zahl formuliert.

Die Zeit der Insekten ist mir lieber als die der Sterne.

Lieber klopf ich auf Holz.

Lieber frage ich nicht, wie lang noch und wann.

Lieber ziehe ich selbst diese Möglichkeit in Betracht,

dass das Sein einen Sinn hat.

(Quelle: Wisława Szymborska: Auf Wiedersehn. Bis morgen. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/:, 1995, S. 57 f.)