Impressionen von der Vernissage

Sonntag, 29. April 2012, 17 Uhr
Einführung: Johannes Schmidt, Kustos, Städtische Galerie Dresden
Musik:
Céline Moinet, Oboe, Staatskapelle Dresden
Thomas Grosche, Gambe, Staatskapelle Dresden

Laudatio von Johannes Schmidt

Ich fühle mich sehr geehrt, diese Ausstellungseröffnung begleiten zu dürfen, denn wir haben es hier  mit zwei wirklichen Altmeistern der Kunst in Dresden zu tun.

Werner Wittig wurde 1930 in Chemnitz geboren, Claus Weidensdorfer 1931 in Coswig – sie beide eint, dass für sie der Ruhestand offenbar ausgeschlossen ist. In ihrem Fall die Idee der Rente mit 67 in Betracht zu ziehen, würde bedeuten, dass alle Werke, die W. Wittig nach dem Jahr 1997 und C. Weidensdorfer nach 98 geschaffen haben, nicht existent wären – ein gravierender Verlust, der diese Ausstellung um mehr als die Hälfte dezimieren würde.

Vorwiegend sehen wir hier nämlich Ausschnitte aus zwei Alterswerken, die eigentlich gar keine typischen Alterswerke sind. Im Schaffen von beiden Künstlern lässt sich kein Punkt finden, an dem so etwas wie ein spätes, vom bisherigen formal trennbares Werk begann. Das, aber bei weitem nicht nur das macht beide Oeuvres miteinander vergleichbar und zusammen besonders.

Ich will versuchen, das, was als Behauptung hinter dem Ausstellungstitel „Zwei Temperamente“ steht, etwas zu ordnen, und aufzuzeigen, was beider Arbeiten eint und trennt, warum man Werke von Claus Weidensdorfer und Werner Wittig zusammen ausstellen sollte, oder warum nicht:

Das „Nicht“ ist schnell gesagt: weil eigentlich beiden für ihr umfangreiches Werk eine Einzelschau zustünde.

Die hatte zumindest Werner Wittig schon 2007 bei Art und Form. Die Tatsache, dass ein Jahr zwischen den runden Geburtstagen beider Künstler liegt, hat vielleicht bisher gemeinsame Jubiläumsausstellungen verhindert.

Dabei liegt die Zusammenschau inhaltlich begründet sehr nahe: Im Dezember 1971, also vor etwas mehr als 40 Jahren, haben beide das erste Mal gemeinsam ihre Werke öffentlich gemacht – im legendären, von Lothar Lang geführten Pankower Pädagogenclub.

1976 folgte eine weitere gemeinsame Ausstellung in Magdeburg und im Schlossmuseum Bernburg. 2009 waren ihre Arbeiten gemeinsam mit denen von Andreas Dress im thüringischen Garbisdorf zu sehen.

In der Dresdner Ausstellungslandschaft der letzten Jahre spielten sie gleichermaßen eine nicht unwesentliche Rolle. Stellte Claus Weidensdorfer 2006 im Leonhardimuseum aus, so folgte ihm Werner Wittig 2009 in der Städtischen Galerie, worauf Weidensdorfer unlängst eine umfangreiche Schau in der Landesärztekammer präsentierte.

Es gibt viele Parallelen in ihren Werken und in ihren Wegen, aber auch Bereiche, in denen sie sich gegenüberstehen und gegenseitig zu ergänzen scheinen.

Schon während des Studiums an der Dresdner Kunsthochschule lernten sich Werner Wittig und Claus Weidensdorfer 1952 als Ateliernachbarn kennen. Mit den beiden studierten u.a. Gotthard Graubner und Dieter Goltzsche. Zu ihren Lehrern zählten Erich Fraaß, Hans Theo Richter und Max Schwimmer, also Künstler, die damals selbst eben noch geduldet wurden, da ihr Werk nicht die offizielle Kunst der Zeit repräsentierte.

Zusammen bauten Weidensdorfer und Wittig in den 1960er Jahren die Druckwerkstatt des Künstlerbundes in Dresden auf.

Beide scheuten in der DDR-Zeit den direkten Weg zu offizieller Anerkennung und zogen es vor, teils sogar gemeinsam, sich fürs täglich Brot mit Gebrauchsgrafik, Messebau und mit Kunsthandwerklichem zu befassen.

Beide Künstler arbeiten bevorzugt auf Papier. Im Werk von beiden spielt die Grafik eine wesentliche Rolle: Sind es bei Claus Weidensdorfer Lithografie und Radierung, so ist es bei Werner Wittig die exotische Technik des (Farb-)Holzrisses.

Stehen bei Claus Weidensdorfer Menschenschilderungen im Vordergrund – Betrachtungen, Begegnungen und Handlungen – bevorzugt Werner Wittig Landschaften und Stilleben. Beiden geht es nicht um Abbildung, sondern um das Allgemeingültige – wo der eine Figuren typisiert, ist beim anderen das Landschaftliche zumeist phantasievolle Konstruktion. Die Anstöße zu beider Phantasmagorien liegen aber immer irgendwo in der Wirklichkeit.

Bleibt Werner Wittig auch in seiner Grafik Maler, so ist Claus Weidensdorfer durch und durch Zeichner, und in seinem Drang zur spontanen Niederschrift völlig auf diese Form der Bilderei festgelegt. Dabei ist wie gesagt kein reportagehaftes Zeichnen gemeint, seine Bilder sind vielmehr innere Bilder, er zeigt weniger konkrete Ereignisse als seine emotionalen Antworten auf solche. Zum existenziellen Aspekt seiner Arbeit habe ich in einem seiner Kataloge ein schönes Zitat gefunden, in dem er das nicht-mehr-aufhören-können beim Zeichnen mit der Situation verglich, wo man jemanden nach dem Weg fragt und der nicht mehr aufhört zu reden – sinngemäß Weidensdorfer „weil er die Strecke so bildhaft vor dem Auge seines Gegenübers entstehen lassen will, dass es zum Gestaltungsproblem wird“

Bei Werner Wittig stand im Studium die Grafik im Vordergrund. Damals schuf er vor allem Lithos und Holzschnitte. Die schon vorher begonnene Malerei betrieb er autodidaktisch weiter.

Druckgrafik fertigt auch Claus Weidensdorfer seit dieser Zeit, Lothar Lang bescheinigte seinen kleinformatigen Radierungen schon 1965 eine zuweilen kauzige Fabulierlust. Wolfgang Holler brachte später „Spiel“ und „Balance“ als bildhaft erklärende Begriffe dafür ins Gespräch.

Ein schier unerschöpflicher Einfallsreichtum ist beiden eigen, beide definieren mit ihren Arbeiten Schönheitsbegriffe neu, denn in den zarten Holzrissen von Werner Wittig wie in den Zeichnungen von Claus Weidensdorfer ist es die enorme Wandlungsfähigkeit und auch der hinreißende Kontrast von Zart und Ruppig in der Formulierung, was reizvoll erscheint.

Einander ähnlich in beider Vorgehensweise ist auch, dass bearbeitete Themen intensiv und mit vielen Variationen ausgelotet werden.

Werner Wittigs erster Holzriss entstand 1969 – eine Ansicht des Dorfes Brockwitz aus feinen, mit einer Radiernadel gekratzten Liniengeflechten, die eine für den Hochdruck ungewöhnliche Wirkung ergeben. Sie sehen hier drei ebenso kleinformatige Blätter, die Werner Wittig in den letzten Jahren von Druckstöcken aus dieser frühen Zeit gezogen hat. („Häuser in Meißen“ und zei Blätter ohne Titel)

1975 schuf er den ersten Farbholzriss. Dabei benutzt er Holz mit sichtbarer Maserung für den Druck flächiger Fonds, so dass die druckende Fläche nicht geschlossen erscheint, sondern neben dem Liniennetz der Motive als Struktur mitwirkt. Zusätzlich dazu arbeitet er mit stark verdünnten und dadurch transparenten Ölfarben. Auf diese Weise bekommen seine Drucke bewegte Farblandschaften mit einer großen Spanne von Nuancen in den Tonwerten.

Der Druck wirkt weich und doch präzise, die fein abgestuften Grauwerte ermöglichen eine räumliche Darstellungsweise.

Damit hatte er eine für sich optimale künstlerische Technik gefunden und entwickelte diese seitdem fortlaufend weiter. Diese Entdeckung war Werner Wittigs Grundstein für alles, was folgte. Stilistisch wirkte dies auch in seine Malerei hinein.

In der Grafik arbeitete er auf eine malerische Wirkung hin, während er in seinen Gemälden oft zeichnerische Elemente einbringt, beispielsweise wenn er in feuchte Ölfarben kratzt.

Unter seinen hier gezeigten Arbeiten auf Papier finden sich auch Holzrisse und Plakatdrucke nach eigenen Bildern, die er mit Bleistift überarbeitet hat (aus den Jahren 1999-2006). Bei diesen Unikaten wird sichtbar, wie nahe Zeichnung und Holzriss beieinander liegen

Seine einzigartige Auseinandersetzung mit dem Hochdruck wurde in Fachkreisen immer wieder gewürdigt. Werner Wittig bekam international Einladungen und Preise.

Auch Claus Weidensdorfer wich in der DDR-Zeit aus, und zwar in die Lehre an der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin, auch er wurde mit zahlreichen Preisen für seine Grafik bedacht. 1992 kehrte er als Professor an die Dresdner Kunsthochschule zurück. 2005 wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Dresden geehrt.

Obwohl beide weder formal noch mit ihren Bildgegenständen in der DDR typisch arbeiteten, wurden ihre Arbeiten anerkannt und sie durften seit Ende der 1970er Jahre an den großen Kunstausstellungen der DDR teilnehmen.

Wie authentisch ihre künstlerische Haltung war und ist, zeigt u.a. die Tatsache, dass es um 1990 kaum einen Knick oder eine wesentliche Veränderung in ihrer Kunst gegeben hat.

In Bezug auf die DDR ebenso wie auf heutige Entwicklungen medienreflektierender Kunst hat sich Werner Wittig von einer thematisierten Welt gelöst, ohne das Gegenständliche aufzugeben. Bis heute entstehen immer wieder Werke, bei denen allein die Titel schon des Künstlers poetische Sicht auf ganz banale Motive widerspiegeln: „Stilles Dorf“ oder „Fröhliche Pflanzen“ seien als Beispiele genannt, auch „Wetter-Bilder“ wie: „Letzter Schnee“ oder „Regen und Wind“, oder das hier gezeigte „Vegetabilische Insekt“.

Als sich Werner Wittig 1958 in Radebeul niedergelassen hatte, entdeckte er die Landschaft der Lößnitz und die Dörfer im Umkreis als Motive. Er interessierte sich dort für den Lauf von Wetter und Jahreszeiten – für Licht, Farben und Formen im Landschaftsraum oder in den Gegenständen auf dem Tisch vor ihm.

Seine charakteristischen Kombinationen von Landschaft und Stilleben fand er Mitte der 1970er Jahre über mehrere Zwischenstufen. Der Künstler gab einmal die Geschichte zum Besten, dass er während eines Spaziergangs auf der Brühlschen Terrasse das erste Mal die vage Idee hatte, „der als Zitronenpresse bekannten Kuppel des Kunstakademie-Gebäudes eine Zitrone beizugeben“.

Mit diesem Zusammentreffen, dieser Verschmelzung von großen und kleinen Gegenständen in einem landschaftlichen Bildraum könnte das Organische und das Gebaute, Natur und Kultur oder: Emotion und Ratio gemeint sein. Der Künstler räumt soetwas als Möglichkeit ein, ohne von sich aus darauf zu verweisen.

Was im heutigen Kontext als Besonderheit, als eine Art werkimmanente Botschaft erscheint, ist bei Werner Wittig die konsequente Innerlichkeit, seine intensive Hinwendung zu einem Gegenstand und sein künstlerisches Beharrungsvermögen, das Experimentierfreude nicht ausschließt.

Wiederum ähnlich lässt sich auch die Haltung von Claus Weidensdorfer beschreiben. Auch er liebt das Experiment und auch er lässt Bildgedanken oft im Arbeitsprozess entstehen. Das zeigen serielle Arbeiten wie „Siesta“ oder die Zustandsdrucke von einer Lithografie, was bei ihm inhaltlich adäquat zu einer Serie der Darstellung von Temperamentzuständen geraten kann, wo aus der „Schamhaften“ Frau, die „Überraschte“ und die „Kesse“ werden.

Werner Wittigs leiser Ironie steht Claus Weidensdorfers Lust am Grotesken und mitunter Clownesken gegenüber. Unübertrefflich ist seine hier auszugsweise gezeigte Folge von Überzeichnungen eines Kinderausmalbuches (2003-05), was man fast als Aufruf zur Regelübertretung, zum Verlassen des vorgezeichneten Weges respektive der vorgegebenen Konturen verstehen kann.

Wenn man bei Werner Wittig geneigt ist, Lyrisches zu assoziieren, so könnte man Claus Weidensdorfer Dramatik und Komödie zuordnen. Allein durch das Thema des Menschenbildes bedingt, findet man in seinen Arbeiten die starken Emotionen.

Seine „Menschliche Kommödie“ wendet sich mit Vorliebe und Sympathie den schrägen oder bunten Vögeln zu, den Musikern in Ekstase, den Randexistenzen und den temperamentvollen Frauen. Bezeichnend erscheint mir, dass er bevorzugt zum Thema Musik arbeitet, während in Werner Wittigs Schaffen die häufigen Literaturthemen auffallen.

Weidensdorfer hat sich thematisch oft Märchenüberlieferungen zugewandt. Unter seinen ganz neuen Offsetdrucken finden sich Beispiele dafür. Auch die Kunstgeschichte bietet ihm immer wieder Anregungen – sei es Manets „Frühstück im Freien“ für die „Siesta“-Folge oder Liotards „Schokoladenmädchen“. Offenbar reizte es den Künstler (und darin sehe ich auch etwas für ihn Typisches), das zur Schau getragene starre Unbeteiligtsein des Originals in seinen Bearbeitungen mit etwas Leben und Bewegung zu impfen.

Seine, also Claus Weidensdorfers Bildwelt erscheint insgesamt vergleichsweise bunter und wilder als die Blätter von Werner Wittig. Die Zusammenschau hat so etwas von der Zusammenführung eines dialektischen Paares.

Ich finde es daher reizvoll, beider Werke hier in einer rhythmischen Hängung miteinander verzahnt zu sehen, wobei auch das Gegenüber der weißen und der rohen Wand im Ausstellungs-bereich inhaltlichen Bezug bekommen.

Ich wünsche beiden Künstlern von Herzen auch weiter eine feste und allzeit inspirierte Hand und allen Betrachtern viel Freude an den hier gezeigten kleinen Kostbarkeiten.

J. Schmidt, April 2012